Richtlinie 91/439/EWG Art. 7 Abs. 1; StVG §§ 65 Abs. 9 S. 1 Halbs. 2, 29 Abs. 5 und 6

Leitsatz

Bei der Berechnung des Zehnjahreszeitraumes nach § 65 Abs. 9 S. 1 Halbs. 2 StVG sind sowohl § 29 Abs. 5 StVG (Anlaufhemmung) als auch § 29 Abs. 6 StVG (Ablaufhemmung) zu berücksichtigen.

VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 20.3.2009 – 10 S 95/08

Sachverhalt

Der 1958 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung der ihm im Oktober 2005 in Polen erteilten Fahrerlaubnis.

Im Jahre 1981 war der Kläger zweimal wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) verurteilt worden. Er hatte mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,34 Promille und 2,11 Promille Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr geführt. Nach Ablauf der im letzten Urteil festgesetzten Sperrfrist wurde dem Kläger im Juni 1986 erneut die Fahrerlaubnis erteilt. Im November 1987 führte der Kläger wiederum ein Kfz im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss (Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille). Das AG W. setzte für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eine Sperrfrist von 9 Monaten fest. Ein im Wiedererteilungsverfahren vorgelegtes medizinisch-psychologisches Gutachten von 6.12.1988 kam zu einem im Hinblick auf die Fahreignung des Klägers negativen Ergebnis. Da auch das Obergutachten vom 6.4.1989 ein negatives Ergebnis hatte, wurde der Antrag des Klägers auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt. Ein weiterer Antrag des Klägers auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wurde mit Verfügung vom 20.2.1990 abgelehnt, nachdem der Kläger ein vom Landratsamt gefordertes Fahreignungsgutachten nicht beigebracht hatte. Auch ein weiterer Antrag des Klägers auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vom 30.1.1999 wurde wegen Nichtvorlage des von ihm geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens am 6.3.2000 abgelehnt.

Am 14.10.2005 wurde dem Kläger in Polen eine Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt (Stadt Szczecin). Im Führerschein ist in der Rubrik Nr. 8 eine Adresse in Stettin (Szczecin) angegeben. Von der Erteilung der Fahrerlaubnis erhielt das Landratsamt R.-Kreis (R.) vom Kraftfahrt-Bundesamt am 14.12.2005 Kenntnis. Mit Schreiben vom 10.1.2006 forderte das Landratsamt den Kläger auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Das Landratsamt wies darauf hin, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen werden könne, sofern er sich weigere, sich untersuchen zu lassen oder das Gutachten nicht fristgerecht beibringe. Zur Begründung der Gutachtensaufforderung verwies das Landratsamt u.a. auf die zuletzt erfolgte strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und die seither nicht nachgewiesene Fahreignung. In dem zu erstellenden Gutachten sei zu klären, ob zu erwarten sei, ob der Kläger auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde.

Mit für sofort vollziehbar erklärter (Ziff. 3) Verfügung vom 6.2.2006 entzog das Landratsamt R. dem Kläger die polnische Fahrerlaubnis der Klasse B (Ziff. 1) und gab dem Kläger auf, den polnischen Führerschein unverzüglich, spätestens jedoch bis zum 20.2.2006 beim Landratsamt abzuliefern (Ziff. 2). Für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage des Führerscheins drohte das Landratsamt dem Kläger die kostenpflichtige Wegnahme durch die Polizei im Rahmen des unmittelbaren Zwangs an (Ziff. 4). Für die Entscheidung wurde in Ziff. 5 eine Gebühr von 184,26 EUR festgesetzt. Gegen die Verfügung vom 6.2.2006 erhob der Kläger am 17.2.2006 Widerspruch. Das Widerspruchsschreiben ist dem Landratsamt von Polen aus übersandt worden und trägt eine polnische Adresse als Absender. Mit Verfügung vom 17.5.2006 hob das Landratsamt Ziff. 2 und 4 seiner Verfügung vom 6.2.2006 auf.

Am 14.6.2005 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben und zur Begründung geltend gemacht, dass die Vorgehensweise des Landratsamtes mit dem Gemeinschaftsrecht nicht in Einklang stehe und seine polnische Fahrerlaubnis anzuerkennen sei. …

Mit Urt. v. 23.7.2007 – 10 K 2316/06 – hat das VG Stuttgart den Bescheid des Landratsamtes R. vom 6.2.2006 in der Gestalt der Änderungsverfügung vom 17.5.2006 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es auf die Frage der Vereinbarkeit der angefochtenen Verfügung mit dem europarechtlichen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen nicht ankomme. Die Gutachtensaufforderung des Landratsamtes sei rechtswidrig. Damit sei der Beklagte nicht nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV berechtigt, aus der Nichtbeibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Klägers zu schließen. Der Kläger sei der Verpflichtung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu Recht nicht gefolgt. Der Strafbefehl des Amtsgerichts W. vom 3.2.1988 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr unterliege dem Verwertungsverbot des § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG. Die zehnjährige Tilgungsfrist habe am 3.2.1993 begonnen und sei deshalb am 3.2.2003 abgelaufen. Damit sei die Verwertung des amtsgerichtlichen Strafbefehls über dieses Datum hinaus nicht mehr möglich. Die Versagungsentscheidung vo...

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