Die ersten Urteile des EuGH zur deutschen Rechtspraxis fielen für die inländischen Behörden und Gerichte vernichtend aus. Schünemann sprach gar von einer "schallenden Ohrfeige" für die deutsche Exekutive.[6] Der EuGH erteilte dem Vorgehen der deutschen Fahrerlaubnisbehörden, Staatsanwaltschaften und Strafgerichten, die eine umfassende Überprüfungskompetenz der deutschen Behörden über die Tätigkeit ausländischer Fahrerlaubnisbehörden reklamierten, eine klare Absage.

In drei Entscheidungen[7] arbeitete der EuGH die Grundsätze heraus. Entsprechend den Gepflogenheiten beim EuGH wurden die Entscheidungen jeweils nach den betroffenen Personen des Verfahrens bezeichnet (Kapper, Halbritter und Kremer).

Die Leitentscheidung war die Kapper-Entscheidung.[8] Dieser lag folgender Sachverhalt zugrunde: Dem Betroffenen war mit deutschen Strafbefehl vom 26.2.1998 die Fahrerlaubnis entzogen worden. Die Sperrfrist lief am 25.11.1998 aus. Am 11.8.1999 ließ sich der Betroffenen eine holländische Fahrerlaubnis ausstellen. Am 20.11.1999 geriet er in eine deutsche Verkehrskontrolle. Die Staatsanwaltschaft ignorierte die holländische Fahrerlaubnis und erhob Anklage wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Das AG Frankenthal legte die Sache dem EuGH vor, wobei ungeklärt blieb, ob der Betroffene zum Zeitpunkt der Erteilung der holländischen Fahrerlaubnis seinen Wohnsitz in Deutschland oder Holland hatte.

Der EuGH stellte folgende Grundsätze des europäischen Führerscheinrechts auf:

  • Die Mitgliedsstaaten haben die von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität und ohne jeden Ermessensspielraum anzuerkennen.
  • Unzulässig sind damit sowohl systematische Kontrollen der rechtmäßigen Erteilung der Fahrerlaubnis durch den anderen Mitgliedsstaat im Falle eines Wohnsitzwechsels, als auch Einzelfallskontrollen im Rahmen der Verkehrskontrolle.
  • Es besteht keine Überprüfungskompetenz eines anderen Mitgliedsstaates über die Rechtmäßigkeit der Erteilung der Fahrerlaubnis durch den Ausstellerstaat.
  • Damit entfällt auch eine Kompetenz, eine ausländische Fahrerlaubnis deshalb zu entziehen oder ihr die Anerkennung zu verweigern, weil dem kontrollierenden Mitgliedsstaat Erkenntnisse darüber vorliegen, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Wiedererteilung seinen Wohnsitz nicht im Ausstellerstaat, sondern im kontrollierenden Mitgliedsstaat hatte. Es bleibt nur die Möglichkeit, den Ausstellerstaat zu informieren und dort die Entziehung anzuregen. Ignoriert der Ausstellerstaat diese Informationen bleibt nur die Möglichkeit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 227 EGV gegen den Ausstellungsstaat.
  • Zwar erlaubt die 2. Führerschein-Richtlinie die Beschränkung, von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, wenn die inländische Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist angeordnet wurde. Diese Befugnis berechtigt aber nicht dazu, einer nach Ablauf der Sperrfrist erteilten ausländischen Fahrerlaubnis die Gültigkeit abzusprechen.

In dem weiteren Verfahren[9] "Halbritter" wiederholte der EuGH die im Kapper-Urteil aufgestellten Grundsätze und bekräftigte sie.

Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde. Dem Betroffenen war mit Urteil des AG Ansbach am 13.6.1996 die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist bis 20.12.1997 angeordnet worden. Nach dem Urteil zog er aus beruflichen Gründen nach Österreich. Dort erwarb er nach durchgeführter österreichischer MPU am 18.6.2002 eine österreichische Fahrerlaubnis. Im Juli 2003 verlegte er seinen Wohnsitz zurück nach Deutschland. Das Landratsamt München lehnte die Umschreibung seiner österreichischen Fahrerlaubnis ab und untersagte dem Betroffenen, von seiner in Österreich erworbenen Fahrerlaubnis weiterhin in Deutschland Gebrauch zu machen.

Es war nach der Kapper-Entscheidung keine Überraschung, dass der EuGH dem LRA München die Kompetenz absprach, über die Qualität einer österreichischen MPU zu entscheiden. Der EuGH wiederholte nochmals ausdrücklich, dass eine nach dem Ablauf der Sperrfrist von einem anderen Mitgliedsstaat erteilte Fahrerlaubnis anzuerkennen ist, ohne dass hierbei ein Ermessenspielraum für die inländischen Behörden besteht. Die Umschreibung und Anerkennung dieser Fahrerlaubnis darf nicht von der Vorlage einer MPU oder sonstigen Voraussetzungen für die Wiedererteilung einer inländischen Fahrerlaubnis abhängig gemacht werden.

Zusätzlich stellte der EuGH klar, dass eine Verweigerung der Anerkennung, eine Beschränkung oder der Entzug der ausländischen Fahrerlaubnis nicht auf ein Verhalten des Betroffenen gestützt werden kann, das dieser vor dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis gezeigt hatte. Dies bedeutet konkret, dass die Gründe, die seinerzeit zum Entzug der Fahrerlaubnis führten (z.B. Fahrt unter Drogeneinfluss), nicht herangezogen werden dürfen, um die Nichtanerkennung einer nach Ablauf der Sperrfrist erteilten ausländischen Fahrerlaubnis zu rechtfertigen.

Schließlich wies der EuGH in der Entscheidung "Kremer" [10] unter Fortführ...

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