Die Entscheidung wiederholt Bekanntes, lässt aber auch erkennen, warum die Grenzziehung in der Praxis immer wieder auf Schwierigkeiten stößt.

1. Der Geschädigte, der unfallbedingt seinen Arbeitsplatz verloren hat und deshalb auf Zahlung von Verdienstausfall anträgt, muss sich nach seiner vollständigen oder auch nur teilweisen Genesung um eine Erwerbstätigkeit bemühen. Die Obliegenheit hat in § 242 BGB ihren Grund und führt im Falle der Nicht-Beachtung wegen § 254 Abs. 2 S. 1 BGB zu einer Kürzung des Schadensersatzanspruchs (Rn 11).

2. Welche Bemühungen der Geschädigte im Einzelnen schuldet, wie sehr er sich bei der Suche nach einer Erwerbstätigkeit engagieren, welches Arbeitsangebot er annehmen muss und welches er als unzumutbar ablehnen darf, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten jedes Einzelfalls zu prüfen und unterliegt damit weitgehend tatrichterlicher Würdigung, § 287 ZPO. Fest steht immerhin, dass der Geschädigte nicht "mauern" darf, sondern, wenn die Umstände für eine Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit sprechen, dartun muss, warum er den geltend gemachten Verdienstausfall durch Wiederaufnahme einer eigenen Erwerbstätigkeit nicht kompensieren kann. Grundsätzlich ist es zwar Sache des Schädigers eine Obliegenheitsverletzung des Geschädigten darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen. Aber weil es hier um Sachverhalte geht, die sich der Kenntnis des Schädigers entziehen und über die in der Regel nur der Geschädigte selbst zuverlässig Auskunft geben kann, legt die Rechtsprechung ihm eine eigene, eine sogenannte sekundäre Darlegungslast auf (Rn 13).

3. Am einfachsten kann sich der Geschädigte dieser Darlegungslast entledigen, indem er seine Jobsuche einem Arbeitsamt anvertraut. Kommt dieses zu dem Ergebnis, dass er aufgrund seines Gesundheitszustandes für nicht mehr vermittlungsfähig ist, kann von ihm grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative hinsichtlich der Aufnahme von Erwerbstätigkeit erwartet werden, da nach einem solchen Urteil einer fachkundigen Stelle aus seiner Sicht weitere Bemühungen um eine Tätigkeit regelmäßig aussichtlos erscheinen werden (Rn 15). Jedenfalls ist es in diesen Fällen wiederum Sache des Schädigers Umstände darzutun, aus denen folgt, dass der Geschädigte auf die Bemühungen des Arbeitsamtes nicht vertrauen durfte und mit einer Initiativbewerbung konkreten Erfolg gehabt hätte (Rn 17).

4. Beachtung verdienen auch die Ausführungen des BGH zu der Frage, was eigentlich Folge einer unzureichenden Darlegung des Geschädigten ist. Das OLG hatte aus den seiner Auffassung nach mangelhaften Angaben zu den Bemühungen des Geschädigten, einen neuen Job zu finden, gefolgert, dass der Anspruch der Höhe nach nicht bezifferbar sei; das würde bedeuten, dass es bereits an der Schlüssigkeit der Klage fehlte. Dem widerspricht der BGH zu Recht. Ein Verstoß gegen die sekundäre Darlegungslast hat nach § 138 Abs. 3 ZPO allein zur Folge, dass der gegnerische Vortrag als zugestanden gilt. Das Gericht muss dann davon ausgehen, dass der Geschädigte eine Arbeitsstelle hätte finden und ausfüllen können. Insoweit ist dann allerdings wieder der Schädiger in der Pflicht. Er muss darlegen, welche Arbeit der Geschädigte hätte noch aufnehmen können und was er gegebenenfalls dann verdient hätte. Auch insoweit kann der Geschädigte, worauf der BGH ausdrücklich verweist (Rn 21), im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast allerdings zu weiterem substantiierten Vortrag verpflichtet sein. Im Ergebnis jedenfalls hat ein Verstoß gegen die dem Geschädigten insoweit obliegenden Schadensminderungspflichten allein zur Konsequenz, dass ein entgangener (fiktiver) Verdienst auf den Schadensersatzanspruch Anrechnung findet.

Dr. Hans-Joseph Scholten, Rechtsanwalt, VRiOLG a.D.

zfs 7/2023, S. 382 - 386

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