Hinweis

"Es trifft zwar zu, dass mein Mandant entgegen § 2 Abs. 2 StVO nicht äußerst rechts gefahren war. Gleichwohl trifft ihn bei dem vorliegenden Verkehrsunfall keine Mithaftung, auch wenn die Kollision möglicherweise vermieden worden wäre, wenn er äußerst rechts gefahren wäre. Denn mein Mandant war gegenüber dem Fahrer des bei Ihnen versicherten Fahrzeugs weiterhin vorfahrtsberechtigt. Auf sein Vorfahrtsrecht hat er vertrauen dürfen. Er hat dieses nicht dadurch verloren, dass er gegen § 2 Abs. 2 StVO verstoßen hat. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Rechtsfahrgebot nicht dem Schutz des Querverkehrs dient (BGH zfs 2012, 76)."

 

Erläuterung:

Es kommt in den Fällen, in denen ein Verkehrsteilnehmer aus einem Grundstück oder einer untergeordneten Straße auf die Vorfahrtsstraße einfahren möchte, häufig vor, dass der Vorfahrtsberechtigte nicht äußerst rechts gefahren war. Kommt es dann zu einer Kollision der Fahrzeuge, stellt sich die Frage, ob der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot eine Mithaftung rechtfertigt. Jedenfalls wird dieser Einwand häufig erhoben.

Einer Mithaftung steht jedoch entgegen, dass das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gegenüber einem auf eine Straße einfahrenden grundsätzlich für die gesamte Fahrbahn gilt. Der sich so im fließenden Verkehr bewegende Vorfahrtsberechtigte darf sogar darauf vertrauen, dass der Einbiegende sein Vorfahrtsrecht beachten wird, es sei denn, es bestehen Anzeichen für eine bestehende Vorfahrtsverletzung. Dann gilt der Vertrauensgrundsatz zugunsten des Vorfahrtsberechtigten nicht mehr, wobei der Vorfahrtsberechtigte mit der Missachtung seines Vorfahrtsrechts so lange nicht zu rechnen braucht, wie der Wartepflichtige noch die Möglichkeit hat, sein Fahrzeug durch eine gewöhnliche Bremsung rechtzeitig anzuhalten, sodass der Vorfahrtsberechtigte ungefährdet vor ihm vorüberfahren kann. Erst wenn diese Möglichkeit nicht mehr besteht, wird der Unfall für den Vorfahrtsberechtigten vorhersehbar und stellt sich für ihn die Frage der Vermeidbarkeit (BGH zfs 2012, 76). Gibt es keine Anzeichen für eine bestehende Vorfahrtsverletzung braucht der Vorfahrtsberechtigte daher nicht vorhersehen, dass seine Fahrweise zu einem Unfall führen würde. Ein fahrlässiges Handeln und damit ein Verschulden scheiden somit aus.

Hinzu kommt, dass das Rechtsfahrgebot sicherstellen soll, dass Fahrzeuge sich gefahrlos begegnen und überholen können. Es dient also dem Schutz der Verkehrsteilnehmer, die sich in Längsrichtung auf derselben Straße bewegen. Verkehrsteilnehmer, die die Straße überqueren oder in sie einbiegen wollen, sollen hierdurch nicht geschützt werden (BGH a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Argumentation sollte eine Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten regelmäßig ausscheiden.

Autor: Martin Diebold

RA Martin Diebold, FA für Verkehrsrecht

zfs 7/2021, S. 363

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge