GG Art. 103 Abs. 1; OWiG § 74 Abs. 2

Leitsatz

1. Hat der Betroffene seine Fahrereigenschaft zugestanden und erklärt, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen, ist seine persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung i.S.v. § 73 OWiG im Regelfalle entbehrlich.

2. Seine Anwesenheit kann nach 73 OWiG dann noch zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des – berechtigterweise – schweigenden Betroffenen genügt.

3. Jedenfalls muss sich das AG in diesem Fall in seinem Urt. mit der Frage befassen, inwieweit tatsächlich von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung eine weitere Sachaufklärung zu erwarten gewesen wäre. Hat sich das AG jedoch mit diesen Punkten nicht befasst, so würde das Urt. im Zulassungsverfahren der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegen.

(Leitsätze des Einsenders)

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.8.2010 – 1(8) SsRs 366/09AK 92/09

Sachverhalt

Mit Urt. v. 16.6.2009 verwarf das AG den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Stadt K v. 6.2.2009, weil der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Termin zur Hauptverhandlung nicht erschienen sei, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden gewesen war. Gegenstand des Bußgeldbescheids der Stadt K v. 6.2.2009, durch welchen gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 40 EUR festgesetzt worden war, ist der Vorwurf, dieser habe am 2.2.2009 als Führer eines Pkw verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon benutzt. Gegen dieses Urt. hat der Betroffene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, mit welchem er unter dem Gesichtspunkt der Verletzung rechtlichen Gehörs vorträgt, das AG habe den Betroffenen aufgrund seines Antrags v. 28.5.2009 zu Unrecht nicht vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden.

Das OLG stellt das Verfahren ein und überbürdet die Kosten des Verfahrens einschließlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse.

2 Aus den Gründen:

„ … II. Eine Ahndung des Verkehrsverstoßes ist nicht mehr geboten.

Eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 S. 2 StPO war vorliegend veranlasst, weil eine etwaige Ahndung der Tat unter Berücksichtigung des mutmaßlichen weiteren Verfahrensverlaufs in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Tat und den damit verbundenen zusätzlichen Belastungen für den Betroffenen stünde (vgl. hierzu Senat VersR 2010, 84 f., abgedr. bei juris; Thüringer Oberlandesgericht VRS 113, 368 f.). Insoweit ist zunächst zu sehen, dass vorliegend die Rechtsbeschwerde aufgrund der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge wegen Verletzung rechtlichen Gehörs deshalb zur Aufhebung des Urt. und zur Zurückverweisung desselben zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das AG geführt hätte, weil dieses den Einspruch des Verurteilten nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat, ohne sich in den Gründen des Urt. mit den Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Erscheinenspflicht und dessen gerichtlicher Behandlung auseinanderzusetzen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.10.2009, 1 SsRs 34/09, abgedr. bei juris; OLG Bamberg zfs 2008, 413 ff.; vgl. auch OLG Celle VRS 116, 451 ff.).

Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht (weiter) zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass im Gegensatz zur früheren Rechtslage (vgl. BGHSt 38, 251 ff. [= zfs 1992, 283]) die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht mehr in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Vielmehr ist dieses nunmehr verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (OLG Karlsruhe zfs 2005, 154 f.; KK-OWiG/Senge, 3. Aufl. 2006, § 73 OWiG, Rn 23 m.w.N.). Hat der Betroffene seine Fahrereigenschaft zugestanden und erklärt, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen, ist seine persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung i.S.d. § 73 OWiG im Regelfalle entbehrlich; seine Anwesenheit kann nach § 73 OWiG allerdings dann noch zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des – berechtigterweise – schweigenden Betroffenen genügt (OLG Bamberg zfs 2008, 413 ff. und Beschl. v. 17.8.2009, 3 SsOWi 780/09), etwa wenn dies zur Auffrischung des Erinnerungsvermögens des Zeugen ausnahmsweise erforderlich und geboten ist. Hingegen kann eine notwendig zu erwartende Aufklärungserwartung nicht darauf gestützt werden, dass ein berechtigterweise von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machender Betroffener seinen Entschluss zum Schweigen möglicherweise überdenkt oder ein Zeuge bei Anwesenheit des Betroffenen zuverlässigere Angaben machen könnte (OLG Bamberg, Beschl. v. 17.8.2009, 3 SsOWi 780/09; OLG Köln NZV 2009, 52; anders noch zur früheren Rechtslag...

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