Im Jahr 2008 reformierten VVG[7] finden sich nur noch wenige Vorschriften zur Bestimmung des Sachschadens (z.B. §§ 85, 88, 93 VVG). So kann der VN nach § 93 S. 1 VVG eine im Vertrag vereinbarte Zahlung über den Versicherungswert (§ 88 VVG) hinaus erst verlangen, wenn die Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung verwirklicht oder zumindest gesichert ist (Wiederherstellungsklausel). Die fiktive Abrechnung kann deshalb bei einer Neupreisentschädigung ohne Wiederherstellung, wie in A.2.5.1.3 AKB vorgesehen, zulässigerweise ausgeschlossen werden. Eine fiktive Abrechnung bis zum versicherten Wert ist damit nicht ausgeschlossen, aber das VVG enthält hierzu keine weiteren Vorgaben. Das RG hat in seiner – soweit ersichtlich – ersten Entscheidung aus dem Jahre 1928 für die Frage der Zulässigkeit einer fiktiven Abrechnung, mangels einer gesetzlichen Regelung, ausschließlich auf den Wortlaut der Versicherungsbedingungen abgestellt.[8] Die damals zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen sahen im Falle einer Beschädigung den Ersatz der "erforderlichen Wiederherstellungskosten" vor. Diesen Wortlaut hat das RG unter Berücksichtigung des gewöhnlichen Sprachgebrauchs dahingehend ausgelegt, dass der VN an einer Zahlung schon vor der Wiederherstellung ein Interesse hat. Außerdem könne es für den VN wirtschaftlicher sein, das Fahrzeug unrepariert zu veräußern, ohne dass er deshalb auf Erstattung der notwendigen Wiederherstellungskosten verzichten müsste. Der BGH hat hieran anknüpfend und in ständiger Rechtsprechung anhand des Wortlauts der jeweiligen Bedingungen, wonach die für die Reparatur "erforderlichen Kosten" gezahlt werden (heute: A.2.5.2.1 AKB), eine fiktive Abrechnung des Kaskoschadens für zulässig erachtet, wobei für die Auslegung mittlerweile auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen VN abgestellt wird.[9] Dabei greift das Abstellen allein auf den Wortlaut der AKB jedoch meines Erachtens zu kurz, weil die Bedingungen einseitig vom VR gestellt werden und es deshalb in seinem Ermessen liegt, die fiktive Abrechnung nicht nur einzuschränken, sondern vertraglich ganz auszuschließen. In den Entscheidungen des RG und des BGH wird über den Wortlaut der Bedingungen hinaus auch auf das wirtschaftliche Interesse des VN abgestellt, über die Schadenszahlung unabhängig von der Durchführung der Reparatur verfügen zu können.[10] Mit Ausnahme der Versicherung für fremde Rechnung im Sinne der §§ 43 ff. VVG bei geleasten oder finanzierten Fahrzeugen, bei der es in erster Linie auf das Sachersatzinteresse des Dritten (Leasinggeberin oder Bank) ankommt und deshalb auch eine fiktive Abrechnung nur mit dessen Zustimmung erfolgen kann,[11] ist damit maßgeblich auf das wirtschaftliche Sicherungsinteresse des VN als Fahrzeugeigentümer abzustellen. Mit dem Abschluss des Kaskoversicherungsvertrags will der VN den in der Regel nicht unerheblichen Fahrzeugwert ("in Geld") absichern und zahlt hierfür die Versicherungsprämie. Bei einer vertraglichen Einschränkung der fiktiven Abrechnung in den AKB muss deshalb immer gefragt werden, ob dies noch mit dem wirtschaftlichen Sicherungsinteresse des VN vereinbar ist. Ein vertraglich zulässiger Ausschluss der fiktiven Abrechnung wäre deshalb kaum denkbar. Der VN ist insoweit frei zu entscheiden, wie er das Geld verwendet, aber bei der Höhe an das Leistungsversprechen des VR gebunden. Der VN hat damit hinsichtlich der Verwendung der vertraglich geschuldeten Versicherungsleistung eine "Dispositionsfreiheit"[12] und muss sein Fahrzeug nicht reparieren oder im Fall des Totalschadens ein Ersatzfahrzeug anschaffen.

[7] Bis zur VVG-Reform wurde eine Begrenzung des Anspruchs in der Sachversicherung insbesondere aus § 55 VVG a.F. hergeleitet, der ersatzlos gestrichen wurde und wie folgt lautete: "Der Versicherer ist, auch wenn die Versicherungssumme höher ist als der Versicherungswert zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls, nicht verpflichtet, dem Versicherungsnehmer mehr als den Betrag des Schadens zu ersetzen".
[8] RG, Urt. v. 27.4.1928 – VII. 1/28, JW 1928, 1744 = HRR 1928, Nr. 1730.
[9] BGH, VersR 1961, 723; NJW 1985, 1222; BGHZ 131, 157 = NJW 1996, 256; BGH, NJW 2015, 160 = zfs 2014, 636; BGHZ 207, 358 = NJW 2016, 314 = zfs 2016, 29.
[10] RG, JW 1928, 1744; BGHZ 207, 358 = NJW 2016, 314 Rn 15 = zfs 2016, 29.
[11] Vgl. hierzu BGH, NJW 2015, 339 Rn 13 = zfs 2014, 701; NJW 2019, 1669 = zfs 2019, 384. In den Leasing- oder Finanzierungsbedingungen wird bei einem Schaden in der Regel die Durchführung der Reparatur mit einer Rechnung vorgeschrieben. Vgl. etwa X.2 u. 3 der Muster-Leasingbedingungen des Verbandes der Automobilindustrie, Bundesanzeiger Nr. 220 v. 25.11.2003, S. 24644 = DAR 2004, 612.
[12] BGH, NJW 1985, 1222; Schreier, Das Verhältnis zwischen Schadensrecht und Schadensversicherung (2017), S. 38 f. u. S. 150 f., dagegen Meinecke, in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl. (2017), A.2 AKB, Rn 567.

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