Hinweis

"Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (BGH VA 2010, 2 = NJW 2009, 3791 Tz. 12 mit OLG-Rspr.). Es gilt dabei eine gesteigerte (höchstmögliche) Sorgfalt, die für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen (BGH VA 2010, 2 = NJW 2009, 3791; OLG Frankfurt SVR 2017, 27). Erfasst sind insbesondere auch Situationen, in denen der Insasse eines Kfz sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kfz beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen oder einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen (BGH VA 2010, 2 = NJW 2009, 3791 mit OLG-Rspr)."

 

Erläuterung:

Nach welchen Haftungsgesichtspunkten ein Schadensfall zu beurteilen ist, bei dem ein Verkehrsteilnehmer mit der geöffneten Tür eines Kfz kollidiert, verlagert sich (oftmals zu Unrecht) zur technischen Frage, inwieweit die Fahrzeugtür geöffnet war und/oder der herannahende Unfallgegner dies hat erkennen können. Dabei wird zwar anhand der Beschädigungen und der Fahrzeugpositionen ein Sachverständiger in der Unfallrekonstruktion in vielen Fällen den Öffnungswinkel/-weite sowie den Seitenabstand des anderen Fahrzeugs ermitteln können, nicht aber den Zeitpunkt des Öffnens und die Dauer der Öffnung.

Es wird jedoch des Öfteren übersehen, dass auch in dieser speziellen Unfallkonstellation der Beweis des ersten Anscheins zugunsten des herannahenden Verkehrsteilnehmers streitet, wenn dem Fahrzeugführer oder Mitinsasse des Kfz ein Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO vorgeworfen werden kann. Die Erschütterung des Anscheinsbeweises gelingt erfahrungsgemäß nur selten (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2015, 85; OLG Frankfurt SVR 2017, 27), wobei teilweise die Annahme von Typizität (typischer Geschehensablauf) in Einsteigefällen am Straßenrand (bspw. OLG Karlsruhe v. 26.1.2015 – 1 U 40/14) und generell bei Kollisionen auf öffentlichen Parkplätzen (vgl. OLG Karlsruhe v. 11.8.2011 – 1 U 27/11) bezweifelt wird.

Gesetzlicher Ausgangspunkt ist dabei § 14 Abs. 1 StVO: "Wer ein- oder aussteigt, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist." Dabei gilt das höchstmögliche Maß der Sorgfalt in Form einer Kardinalspflicht: Von "äußerster" oder "höchstmöglicher" Sorgfalt heißt es in der OLG-Rechtsprechung (OLG Frankfurt SVR 2017, 27; Balke SVR 2017, 29), in den einschlägigen BGH-Entscheidungen wird von "gesteigerter" Sorgfalt (VersR 2007, 1095; VersR 1986, 1231; VersR 1981, 533) gesprochen. Geschützt ist in erster Linie der fließende Verkehr (LG Saarbrücken NZV 2016, 317; NZV 2013, 594).

Eine Mithaftung des Vorbeifahrenden kommt zumeist bei zu geringem Seitenabstand und/oder Beobachtungsverschulden oder zu schneller Vorbeifahrt in Betracht (dazu bspw. OLG Düsseldorf DAR 2015, 85; OLG Frankfurt SVR 2017, 27; BGH VA 2010, 2 = NJW 2009, 3791).

Autor: Claudio La Malfa

RA Claudio La Malfa, FA für Verkehrsrecht, Emmendingen

zfs 6/2019, S. 303

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