Führerscheintourismus – Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine – Entzug einer nationalen Fahrerlaubnis im Wohnsitzstaat wegen Drogen- und Alkoholkonsums – Sicherheit des Straßenverkehrs – Befugnis eines Mitgliedstaats, die Anerkennung eines Führerscheins zu verweigern – Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG

Generalanwalt Yves Bot hat am 14.2.2008 seine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen C-329/06 und C-343/06 und den verbundenen Rechtssachen C-334/06 bis C-336/06 (Vorabentscheidungsersuchen des VG Sigmaringen und des VG Chemnitz [vgl. zfs 2006, 542]) zu der Frage vorgelegt, ob ein Mitgliedstaat befugt ist, die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu verweigern.

Der Generalanwalt bereitet die Entscheidungen des Gerichtshofs vor, indem er in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit (Art. 222 Abs. 2 EGV) am Ende der mündlichen Verhandlung seine "Schlussanträge" stellt. Darin fasst er den Verfahrensgegenstand zusammen, würdigt ihn in Form eines Rechtsgutachtens und unterbreitet einen begründeten konkreten Entscheidungsvorschlag (Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn 39 ff.). Die Auffassung des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Der EuGH folgt diesen Anträgen allerdings häufig.

In der nationalen Rechtsprechung ist bei der Anerkennung von EU-Fahrerlaubnissen nach wie vor vieles streitig. Die Gerichte entscheiden uneinheitlich (vgl. dazu Haus, Aktuelle Probleme im Verkehrsverwaltungsrecht, in: Homburger Tage 2006, Schriftenreihe der AG Verkehrsrecht, 2007, 93 ff.; vgl. zuletzt: VG München DAR 2008, 283, VG Augsburg zfs 2008, 54, zfs 2008, 235, zfs 2007, 296; OVG d. Saarl. zfs 2007, 421; OVG Rheinl.-Pfalz zfs 2007, 422; BayVGH zfs 2007, 354; NdsOVG zfs 2007, 235 m.w.N. in der Anmerkung). Auch der VGH Baden-Württemberg hat jetzt dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschl. v. 18.12.2007 – 10 S 1600/07, zfs-Aktuell, in diesem Heft). Neben verwaltungsrechtlichen Rechtsfragen stellen sich auch Fragen der Strafbarkeit (vgl. § 21 StVG). So z.B. bei Gebrauchmachen von einer EU-Fahrerlaubnis bei Fahrerlaubniserwerb während gesetzlicher Sperrfrist (OLG Bamberg zfs 2007, 586) oder bei Fahrten mit im EU-Ausland erworbenen Führerscheinen, wenn diese unter bewusster Umgehung der inländischen Wiedererteilungsregeln erworben wurden (vgl. z.B. LG Potsdam zfs 2007, 651 = DAR 2008, 219 m.w.N.). Bei unterschiedlicher Rechtsprechung gleichrangiger Obergerichte zu EU-Führerscheinen kann ein Verbotsirrtum unvermeidbar sein (OLG Stuttgart zfs 2008, 109 = DAR 2008, 158).

Die Dritte Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG; vgl. zfs 2007, 182; zfs 2007, 240, Anm. unter Nr. II; Riedmeyer zfs 2007, 241; vgl. auch Geiger DAR 2007, 126, Blum NZV 2008, 176, 180) hilft gegen den "Führerscheintourismus" zumindest derzeit noch nicht (BayVGH zfs 2007, 354)

Mit Blick darauf, dass die Frage des sog. Führerscheintourismus in der Praxis eine große Rolle spielt, werden im Folgenden die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot kurz zusammengefasst. Die angegebenen Randnummern geben die Randnummern der Schlussanträge wieder.

Die Prüfung des Sachverhalts der Ausgangsverfahren lässt nach Generalanwalt Bot "eindeutig die Täuschungsabsicht der Inhaber der streitigen Führerscheine erkennen." (Rn 72).

Es wird festgestellt, dass "sich die Betroffenen in die Tschechische Republik begeben haben, weil sie wussten, dass der für die Wiedererteilung eines Führerscheins in Deutschland geforderte medizinisch-psychologische Test dort nicht verlangt wird und sie die Gründe, die zum Entzug der deutschen Fahrerlaubnis geführt hatten, nicht anzugeben brauchten." (Rn 73).

Solange das Gemeinschaftsrecht nicht harmonisiert ist, ist ein Mitgliedstaat, der objektiv Anlass zu der Auffassung hat, dass die in Richtlinie 91/439 getroffenen drittschützenden Regelungen nicht angewandt wurden, befugt, die Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu prüfen (Rn 88). Dies ist u.a. dann der Fall,

"wenn schon ein Blick auf den Führerschein zeigt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie geforderte Mindestvoraussetzung eines tatsächlichen Wohnsitzes (Anm.: im Ausstellungsstaat) nicht erfüllt war, und wenn dem Betroffenen im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates der die Kontrolle vorgenommen hat, die Fahrerlaubnis entzogen und ihre Wiedererteilung an das Bestehen eines medizinisch-psychologischen Tests geknüpft worden war" (Rn 89).

Der Ausstellungsmitgliedstaat prüft in solchen Fällen, "ob sich der Inhaber der Fahrerlaubnis in Anbetracht der Umstände, die zum Entzug der ersten Fahrerlaubnis geführt haben, und seiner Gefährlichkeit für die übrigen Teilnehmer am Straßenverkehr einer ärztlichen Untersuchung unterzogen hat, deren Niveau dem des medizinisch-psychologischen Tests vergleichbar ist" (Rn 91).

"Teilt … der Ausstellungsmitgliedstaat … mit, dass ihm das Vorleben des Inhabers der Fahrerlaubnis nicht bekannt und da...

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