"… II."

[23] Die zulässige Beschwerde ist begründet. (…)

[26] 2. Die straßenverkehrsbehördlichen Anordnungen sind – die (streitige) Frage der Antragsbefugnis des ASt. (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) ebenfalls unterstellt – bei summarischer Prüfung rechtmäßig, denn ausweislich der erstmals im Beschwerdeverfahren eingereichten Unterlagen sind für alle streitgegenständlich gebliebenen Straßenabschnitte die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 45 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 9 S. 1 StVO erfüllt. Zugleich hat der AG seine Ermessenserwägungen für die Straßenabschnitte Hallesches Ufer zwischen Hallesches Tor und Köthener Straße, Kottbusser Damm/Kottbusser Straße zwischen Kottbusser Tor und Hermannplatz, Lichtenberger Straße zwischen Holzmarktstraße und Strausberger Platz, Tempelhofer Ufer zwischen Schöneberger Straße und Halleschem Tor, Schöneberger Ufer zwischen Potsdamer Brücke und Köthener Straße sowie Kantstraße und Neue Kantstraße zwischen Messedamm und Budapester Straße in zulässiger Weise mit Schriftsatz (…) ergänzt. Die für den Straßenabschnitt Gitschiner Straße/Skalitzer Straße getroffene und mit Schriftsatz v. 7.10.2020 übermittelte neue Sachentscheidung des AG ist im Beschwerdeverfahren ebenfalls zu berücksichtigen und das Ermessen auch insoweit in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt worden.

[27] a) Nach § 45 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 9 S. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken; entsprechende Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Die für die straßenverkehrsrechtliche Gefahrenprognose erforderlichen Tatsachengrundlagen, die erstinstanzlich nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden waren, hat der AG im Beschwerdeverfahren jeweils durch Nachreichung geeigneter Beweismittel (Verkehrszählungen, Unfallstatistiken) belegt. (…)

[28] Zur Beurteilung der Gefahrenlage aufgrund von Verkehrsstärken in Relation zu den gefahrenen Geschwindigkeiten hat die Beschwerde auf die Kriterien der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Ausgabe 2010) zurückgegriffen, denen als fachlich anerkanntes Regelwerk ein entsprechender Sachverstand und Erfahrungswissen entnommen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2010 – 3 C 42.09 [zfs 2011, 234 =] juris Rn 27; Senatsurt. v. 14.2.2018 – OVG 1 B 25.15 – juris Rn 22, und v. 20.3.2019 – OVG 1 B 3.18 – n.v.). Danach spricht bei summarischer Prüfung Überwiegendes dafür, dass jedenfalls auf den Straßenzügen, die im Rahmen der “Vorauswahl von geeigneten (Radverkehr-)Führungsformen' den Belastungsbereichen III oder IV zuzuordnen sind (ERA 2010, Ziff. 2.3), das Trennen des Radverkehrs vom Kraftfahrzeugverkehr aus Sicherheitsgründen gefordert ist (ERA 2010, Ziff. 2.3.3). Das betrifft mit Ausnahme der dem Belastungsbereich II zugeordneten Teilabschnitte der Kottbusser Straße sowie der Kantstraße zwischen der Suarezstraße und der Ostseite des Savignyplatzes alle streitig gebliebenen Straßenabschnitte. Dazu gehört auch der Straßenabschnitt Gitschiner Straße/Skalitzer Straße zwischen Halleschem Tor und Kottbusser Straße, der ebenfalls dem Belastungsbereich III zugeordnet ist. Die insoweit innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingereichte neue und erstmals mit zutreffenden verkehrsbezogenen Ermessenserwägungen versehene Anordnung vom 7.10.2020 ist entgegen der Ansicht des ASt. in der Sache verwertbar. Denn die Gründe, auf welche die Beschwerde gestützt wird, müssen nicht notwendigerweise bereits im Zeitpunkt des angegriffenen Beschlusses vorgelegen haben. Sie können sich auch auf eine Sach- und Rechtslage stützen, die sich erst nach Ergehen des Beschlusses ergeben hat. Gleiches gilt, wenn entscheidungserhebliche Umstände erst nach Ergehen des Beschlusses erkennbar geworden sind. Nachträglich eingetretene entscheidungserhebliche Tatsachen sind selbst dann vom Beschwerdegericht zu berücksichtigen, wenn sie vom Beschwerdeführer erst nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst geschaffen wurden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., 2019, § 146 Rn 42).

[29] Mit Blick auf die wegen der Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h lediglich dem Belastungsbereich II zugeordneten Teilabschnitte der Kottbusser Straße sowie der Kantstraße zwischen der Suarezstraße und der Ostseite des Savignyplatzes, erweist sich der angegriffene Beschl. angesichts der insoweit im Wesentlichen unwidersprochen gebliebenen Unfallstatistiken voraussichtlich ebenfalls als fehlerhaft, wobei es auf die Einzelheiten des tödlichen Verkehrsunfalls am 7.2.2020 in der Kantstraße, Höhe Savignyplatz, vor dem Hintergrund der auf dem Streckenabschnitt in der Zeit vom 1.12.2016 bis zum 30.11.2019 insgesamt registrierten 69 Verkehrsunfälle (26 mit Beteiligung von Radfahrern) nicht entscheidend ankommen wird. Im Übrigen sind insoweit...

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