Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserin, lieber Leser,

ich möchte Ihnen heute von einem sonderbaren Gerichtstermin an einem (beliebigen) Amtsgericht in Deutschland berichten, der so sonderbar dann doch nicht gewesen ist, weil mein Berufsalltag zeigt, dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis zusehends umgekehrt wird. Wovon spreche ich?

Sicher hatten Sie in der Vergangenheit auch mal Gelegenheit, an einem Gerichtstermin in Bußgeldsachen wegen einer Ordnungswidrigkeit teilzunehmen. Im Bewusstsein der Kontrolldichte, die in den letzten Jahren auf Deutschlands Straßen zugenommen hat, aber auch dem Wissen, dass Amtsgerichte mit solchen Verfahren stark ausgelastet werden, sah ich einem fundierten Fachgespräch in der Hauptverhandlung entgegen. Diese war jedoch ebenso schnell beendet, wie sie begonnen hatte.

Bereits irritiert durch die ca. 1 ½ Seiten lange Verfügung des Gerichts, die dem Verteidiger bereits mit Ladung zugestellt wurde, nämlich in kurzen Worten, dass ein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eigentlich sinnlos wäre, sondern es kostengünstiger ist, den Einspruch zurückzunehmen (auch wegen des nicht unerheblichen Risikos der Bußgelderhöhung wegen Voreintragungen), und um gerade auch der allgemeinen Auslastungssituation der Gerichte zu entgegnen, habe ich – wie es die Strafprozessordnung nicht vorsieht – sämtliche Einwendungen zuvor im Zwischenverfahren vorgebracht. Dies in der Hoffnung, dass zumindest über die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Problempunkte unmittelbar diskutiert werden würde. Leider wurde meine hoffnungsvolle Vorfreude enttäuscht.

Nach 30-minütiger Verzögerung wurde das Verfahren schließlich aufgerufen und ehe ich mich versah und noch nicht einmal meinen Mantel ab- und die Robe angelegt hatte, war der Bußgeldbescheid bereits verlesen. Auf meine freundliche Bitte hin, wenigstens bei der Verlesung des Bußgeldbescheids damit abzuwarten, bis der Verteidiger sitze, war mir das Gericht noch zugetan. Sodann wurden die Urkunden in der Beweisaufnahme – in preußischer Präzision – in weniger als 60 Sekunden im Selbstleseverfahren eingeführt (Eichschein, Messbild, Schulungsnachweise etc.) und das Messvideo lief auch schon.

Trotz der Sonnenbrille, der Sonnenblende, die das halbe Gesicht des Fahrers verdeckte, und eines verpixelten Bildes dauerte es weniger als 30 Sekunden, um den Mandanten als Fahrer auch eindeutig zu identifizieren. Wie ich finde eine Höchstleistung.

Auf die Frage, ob es noch weitere Anträge zur Beweisaufnahme gäbe, antwortete ich schmallippig, dass es sicherlich sinnvoll wäre, den Messbeamten zu der vorgenommenen Messung zu vernehmen, schließlich wurde das Protokoll – trotz Widersprüchen – kritiklos verlesen. Gleichzeitig stellte ich einen Antrag auf Einholung eines messtechnischen Sachverständigengutachtens zur Überprüfung des Messergebnisses.

Mir war nicht klar, was ich genau angerichtet hatte, denn die Stimmung des Gerichts änderte sich schlagartig. Der Griff zu einem Stapel Klarsichtfolien entpuppte sich zur schärfsten Waffe des Gerichts, § 77 OWiG. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Ladung des Beamten wurden zurückgewiesen, da die Beweisanträge nicht zur Erforschung der Wahrheit erforderlich seien.

Wenn man erwartete, dass eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Vortrag und eine ordnungsgemäße Erläuterung der Ablehnung der Beweisanträge etwas bringt, wurde man enttäuscht. Auf meinen Versuch, eine Begründung der Ablehnung der Beweisanträge zu erhalten, erfolgte lediglich der Hinweis, dass aufgrund der Erkenntnisse aus früheren Verfahren Entsprechendes nicht erforderlich sei.

Mein Einwand, dass dies mit einem fairen Verfahren und dem Rechtsstaatsprinzips nicht in Einklang zu bringen sei, erzürnte das Gericht. Der Hinweis des Gerichts, ich könne ja, wenn ich wolle, Rechtsbeschwerde einlegen, erzürnte dann mich. Standardisiertes Messverfahren eben.

Das rechtsstaatliche Prinzip soll Willkür bei der Anwendung staatlicher Gewalt verhindern, die Freiheit und die Würde aller sichern und jeden in seinen Rechten schützen. "Misst" man diese Prinzipien an einem solchen Ablauf, frage mich, ob das Verfahren einer Überprüfung standhalten würde.

Autor: Claudio La Malfa

RA Claudio La Malfa, FA für Verkehrsrecht, Emmendingen

zfs 5/2019, S. 241

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