„Dem Kl. steht gegen die Bekl. als Gesamtschuldner ein Schmerzensgeldanspruch aus §§ 7 Abs. 1 StVG (Halterhaftung); 17, 18 Abs. 1 und 3 StVG, 823 BGB, (Fahrerhaftung); 1 Abs. 1, 3 PflVG (Haftung der Haftpflichtversicherung); 253 BGB zu.

Zur Überzeugung des Senats steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Instanz und den tatbestandlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil fest, dass das Unfallgeschehen auf das alleinige Verschulden des Bekl. zu 1) zurückzuführen ist, sodass es nicht darauf ankommt, ob aufgrund der Einlassung der Bekl. in der Klageerwiderung von einem prozessualen Geständnis zur vollen Haftung der Bekl. auszugehen ist. Hierfür könnte sprechen, dass die Bekl. vorprozessual die Verschuldensfrage nie problematisiert und den materiellen Schaden jedenfalls gegenüber dem Eigentümer/Halter des vom Kl. gesteuerten, am Unfall beteiligten Pkw voll ersetzt hatten. Dieses Verhalten der Bekl. zu 3) könnte ein Indiz dafür sein, dass die als Verkehrshaftpflichtversicherer haftungsrechtlich nicht unerfahrene Bekl. zu 3) die nach Aktenlage vorgefundene Unfallsituation so einschätzte, dass sie zu 100 % für den Unfallschaden einzustehen habe.

Diese ursprüngliche mutmaßliche Einschätzung der Bekl. zu 3) ist auch zutreffend.

Von den Parteien nicht angegriffen hat das LG zutreffend und mit überzeugender Begründung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, festgestellt, dass der Bekl. zu 1) den Unfall schuldhaft durch eine Vorfahrtsverletzung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVO verursacht hat.

Dagegen trifft den Kl. kein Verschulden an dem Unfallgeschehen. Der Kl. hatte nicht bei unklarer Verkehrslage überholt und dadurch den Unfall fahrlässig mit verursacht. Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen nicht mit einem gefahrlosen Überholvorgang rechnen darf. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Überholstrecke unübersichtlich ist bzw. die Entwicklung der Verkehrslage bei Einleitung des Überholvorgangs nicht verlässlich beurteilt werden kann. Ein relevanter Zweifel an der Gefahrlosigkeit des Überholvorgangs kann auch dann entstehen, wenn das Verhalten eines Querverkehrs nicht übersehen werden kann (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 5 StVO Rn 26 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor: Der Kl. hatte auf einer geraden, bevorrechtigten Straße außerhalb des Ortes mit einer zulässigen Geschwindigkeit von nicht über 100 km/h mehrere Fahrzeuge überholt. Die Straße war frei einsehbar. Entgegenkommender Verkehr war nicht vorhanden. Zur Unfallzeit war es dunkel. Der Unfallgegner, der Bekl. zu 1), fuhr mit dem unfallbeteiligten Pkw der Bekl. zu 2), der bei der Bekl. zu 3) haftpflichtversichert ist, aus einer untergeordneten Straße nach rechts in die bevorrechtigte Straße, auf der sich der Kl. näherte und dessen Lichtkegel er auf der linken Fahrbahnhälfte herannahen sehen konnte und musste. Beim Rechtsabbiegen missachtete er die Vorfahrt des Kl., ohne dass dies für den Kl. vorhersehbar war.

Allein der Umstand, dass der Kl. grds. bei seinem Fahrverhalten auch ein mögliches Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer einkalkulieren muss, reicht daher nicht aus, dass der Kl. bei ansonsten klarer Verkehrslage im Bereich der Straßeneinmündung generell nicht überholen durfte. Bezeichnenderweise war an dieser Stelle auch kein Überholverbot angeordnet, was darauf schließen lässt, dass eine allgemeine Gefahrensituation in diesem Straßenabschnitt nicht angenommen wurde. Ohne konkrete Anhaltspunkte für ein mögliches Fehlverhalten des Bekl. zu 1) brauchte der Kl. bei Einleitung des Überholvorgangs nicht davon auszugehen, dass der Bekl. zu 1) als die Vorfahrt zu beachten habender Verkehrsteilnehmer seiner Wartepflicht nicht nachkommen würde. Allein die im Einmündungsbereich erkennbaren Lichtkegel des vom Bekl. zu 1) gesteuerten Pkw zwangen den Kl. nicht, den Überholvorgang abzubrechen.

So hat die erstinstanzliche Beweisaufnahme nicht ergeben, dass der Kl. beim Beginn des Überholvorgangs bei Anwendung der im Verkehr üblichen und von einem Kraftfahrer zu erwartenden Sorgfalt bereits hätte erkennen können und müssen, dass der Bekl. zu 1) seine, des Kl., Vorfahrt missachten werde. Der Kl. verstieß nicht gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten eines Verkehrsteilnehmers, wenn er den Verkehrsverstoß des Bekl. zu 1) nicht voraussah und seinen Überholungsvorgang fortsetzte. Vielmehr bog der Bekl. zu 1) recht überraschend nach rechts in die Vorfahrtsstraße ab, ohne zu erkennen, dass sich der überholende Kl. auf der für ihn linken Fahrspur, also der Fahrspur, in die der Bekl. zu 1) einbog, näherte. Mit diesem grob verkehrswidrigen Verhalten brauchte der Kl. bei Einleitung des Überholvorgangs nicht zu rechnen. Als er den Verkehrsverstoß des Bekl. zu 1) erkennen konnte, war es für ein Abrechen des Überholvorgangs zu spät. Daher ist von einem alleinigen Verschulden des Bekl. zu 1) an dem Unfallgeschehen auszugehen, zumal nach dem Ergebnis der erstinstanzlic...

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