VVG § 6 Abs. 1

Leitsatz

Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer in geeigneter Form auf die Schwierigkeiten der richtigen Festsetzung des Versicherungswerts aufmerksam machen.

BGH, Beschl. v. 3.2.2011 – IV ZR 171/09

Sachverhalt

Der Kl. verlangt von der Bekl. aus einer Wohngebäudeversicherung eine restliche Entschädigung wegen eines Brandschadens in seinem Wohnhaus. Dem Versicherungsvertrag liegen die VGB 62 sowie Sonderbedingungen für die gleitende Neuwertversicherung von Wohn-, Geschäfts- und landwirtschaftlichen Gebäuden zu Grunde. Der danach für die Neuwertversicherungssumme maßgebliche Versicherungswert 1914 wurde auf 30.000 Mark festgelegt. Der von der Bekl. nach dem Brand beauftragte Sachverständige ermittelte einen Neuwert von 38.500 Mark (1914). Auf Grund der von ihr angenommenen Unterversicherung legte die Bekl. eine Neuwertversicherungssumme (Wert 1914) von 30.900 Mark zugrunde und kürzte sowohl den Neuwertschaden als auch den Mietausfallschaden entsprechend. Für die Erneuerung der Holzvertäfelung leistete die Bekl. nur insoweit eine Entschädigung, als die Fläche schwarz verbrannt war.

Der Kl. behauptet, eine Aufklärung oder ein Hinweis, welche Gefahren mit einer Unterversicherung verbunden sein könnten, sei ihm bei Abschluss des Vertrages durch den Versicherungsagenten der Bekl. nicht zuteil geworden.

2 Aus den Gründen:

[7] „II. Die Beschwerde hat Erfolg und führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BG. Das BG hat den Anspruch des Kl. auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

[8] 1. Zum einen hat das BG den Vortrag des Kl., der Versicherungsagent der Bekl. habe ihn bei Vertragsschluss nicht auf die Gefahren einer Unterversicherung hingewiesen, nicht in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise zu Kenntnis genommen und sich damit auseinandergesetzt.

[9] a) Den Gebäudeversicherer treffen gesteigerte Hinweis- und Beratungspflichten bei Abschluss des Vertrages, wenn er die Bestimmung des Versicherungswertes dem Versicherungsnehmer überlässt und Versicherungsbedingungen verwendet, nach denen die Feststellung des richtigen Versicherungswertes, ohne dass dies offen zu Tage läge, so schwierig ist, dass sie selbst ein Fachmann nur mit Mühe treffen kann. So liegt es bei der richtigen Ermittlung des Versicherungswertes 1914, die ungewöhnlich schwierige Bewertungsfragen aufwirft. Zu der für einen bautechnischen Laien schon schwierigen Bewertung von Bauleistungen kommt hinzu, dass örtliche, heute kaum noch feststellbare Preisunterschiede aus einer lange zurückliegenden Zeit zu berücksichtigen sind. Außerdem hat die fortschreitende Bautechnik zunehmend zu Baumethoden und Baustoffen geführt, die mit den 1914 gängigen schwer zu vergleichen sind. Überdies sind die DIN-Normen über die Berechnung des umbauten Raumes seither verschiedentlich geändert worden. Die richtige Bestimmung dieses Versicherungswertes gilt deshalb als selbst für Bausachverständige äußerst schwierig. Mit den Geboten von Treu und Glauben ist es nicht zu vereinbaren, dass ein Versicherer eine derart problematische Bestimmung des Versicherungswertes dem Versicherungsnehmer überlässt, ohne ihn deutlich darauf hinzuweisen, welche Gefahr er mit einer vorschnellen Bezeichnung des Versicherungswertes läuft und wie er dem begegnen kann. Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer in geeigneter Form sowohl auf die Schwierigkeiten der richtigen Festsetzung des Versicherungswertes wie auf die Gefahren einer falschen Festsetzung aufmerksam machen. Zu einer ordnungsgemäßen Belehrung gehört auch der Hinweis, dass ein im Bauwesen nicht sachverständiger Versicherungsnehmer mit der Bestimmung des richtigen Versicherungswertes 1914 in aller Regel überfordert sein wird, und dass es sich deshalb empfehlen kann, einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Seiner Hinweispflicht kann der Versicherer auch dadurch genügen, dass er selbst dem Versicherungsnehmer eine fachkundige Beratung anbietet.

[10] Verletzt der Versicherer schuldhaft seine Aufklärungspflicht, so ist er dem Versicherungsnehmer wegen Verschuldens bei Vertragsschluss zum Schadensersatz verpflichtet. Er hat den Versicherungsnehmer im Schadensfall dann so zu stellen, wie wenn er ihn ordnungsgemäß beraten hätte. Dabei kann nach der Lebenserfahrung bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden, dass ein Versicherungsnehmer einem entsprechenden Hinweis gefolgt und die Versicherungssumme dementsprechend festgesetzt worden wäre. Das kann im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass der Versicherer gehindert ist, sich auf die Unterversicherung zu berufen. Allerdings muss sich der Versicherungsnehmer infolge der unterlassenen Belehrung etwa erzielte Vorteile (z.B. ersparte höhere Prämien) anrechnen lassen (Senat NJW-RR 1989, 410, 411; VersR 2007, 1411 Rn 2; Römer, in: ders./Langheid, VVG, 2. Aufl., § 56 Rn 2, § 50 Rn 6 m.w.N.; Kollhosser, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 56 Rn 22 m.w.N.).

[11] b) Das BG ist von diesen Grundsätzen ...

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