VVG § 6 Abs. 3 a.F.; 61 a.F.

Leitsatz

1. Gibt der Versicherungsnehmer in der Schadenanzeige eine Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls von 70 km/h an, während er in Wirklichkeit mindestens 95 km/h gefahren ist, so ist der Versicherer wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit leistungsfrei.

2. Kommt ein Versicherungsnehmer bei einer um mindestens 25 km/h überhöhten Geschwindigkeit nach einem Überholvorgang von der Fahrbahn einer Landstraße ab, so spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass sein Fehlverhalten für den Versicherungsfall ursächlich geworden ist.

OLG Saarbrücken, Urt. v. 19.11.2008 – 5 U 78/08

Sachverhalt

Der Kläger nimmt die Beklagte, seinen Kaskoversicherer, wegen eines Unfallschadens mit seinem Pkw Fe in Anspruch. Er war auf der L XX nach Überholen des mit mindestens der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit fahrenden Kfz der Zeugin M von der Fahrbahn abgekommen, auf den Grünstreifen geraten und an einem Baumstumpf zum Stehen gekommen. In der Schadenmeldung hat er seine Geschwindigkeit vor dem Unfall mit "70 km/h", der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit, angegeben.

Aus den Gründen

Aus den Gründen: „Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 VVG i.V.m. § 12 Abs. 1 AVB.

I. Dies folgt zum einen daraus, dass die Beklagte gem. § 6 Abs. 3 VVG i.V.m. § 7 Nr. V Abs. 4 AVB infolge einer nach dem Eintritt des Versicherungsfalls begangenen Obliegenheitsverletzung leistungsfrei geworden ist …

2. Diese Obliegenheit hat der Kläger objektiv verletzt. Der Kläger hat unstreitig in dem Schadenanzeigeformular der Beklagten unter Ziffer 4.1 als Geschwindigkeit vor dem Unfall 70 km/h und als erlaubte Geschwindigkeit ebenfalls 70 km/h angegeben. Auf Grund des Ergebnisses des Sachverständigen P, wonach der Kläger mit einer Geschwindigkeit von mindestens 95 km/h gefahren ist, hat der Kläger unstreitig gestellt, dass er 95 km/h gefahren sei. Demnach ist die Angabe, er sei nur 70 km/h gefahren, objektiv unrichtig.

Der Kläger kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, er habe die Frage deshalb nicht falsch beantwortet, weil es sich bei der Angabe der gefahrenen Geschwindigkeit nur um eine Circa-Angabe handle. Dass dies generell bei Unfallmeldungen der Fall sei, ist nicht ersichtlich. Der Kläger hätte, wenn er nur eine Circa-Angabe machen wollte, seine Angaben mit “ca.’ kennzeichnen müssen. Im Übrigen ist es zwar denkbar, dass man sich beim Ausfüllen des Formulars um wenige km/h verschätzt. Insoweit sind gewisse Toleranzbereiche zuzugestehen. Jedoch fällt eine Überschreitung von 25 km/h völlig aus einer noch hinnehmbaren Fehlertoleranz heraus …

Das LG hat festgestellt, dass der Kläger wusste, dass er mit einer erheblich, d.h. mindestens um 25 km/h über der zulässigen Geschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit gefahren ist, als er auf das rechte Bankett geraten und verunfallt ist …

Somit lag ein mit einer deutlich über der erlaubten Geschwindigkeit von 70 km/h ausgeführter Fahrvorgang vor, der hoch riskant war. Auch nachdem der eigentliche Überholvorgang beendet war, hat der Kläger weiter beschleunigt, um einen deutlichen Abstand zwischen sich und das – offensichtlich geschnittene – überholte Fahrzeug zu bringen, welches seinerseits bereits leicht schneller als erlaubt fuhr. Dass ein solcher Fahrvorgang nicht unter Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h möglich ist, ist jedem Autofahrer bekannt und in der jeweiligen Situation sofort bewusst. Dabei spielen die Motorgeräusche und die perfekte Straßenlage des jeweiligen Fahrzeugs keine Rolle. Des Weiteren ist es auch gleichgültig, ob der Kläger nach Abschluss des Überholvorgangs und vor dem Abkommen von der Fahrbahn noch einmal einen kurzen Kontrollblick auf den Tacho geworfen hat oder nicht. Allein aus dem äußeren Geschehensablauf, der ein Überholen an der besagten, relativ engen Stelle und ein erneutes Beschleunigen nach dem Wiedereinscheren beinhaltete, war erkennbar, dass die Geschwindigkeit weit oberhalb des Erlaubten lag. Da der Kläger sein Fahrzeug nach eigenen Angaben seit etwa 1 ¼ Jahre fuhr, waren ihm im Übrigen das Fahrverhalten und die Geräuschentwicklung seines Fahrzeugs hinlänglich bekannt, so dass er sehr wohl einschätzen konnte, in welchem Geschwindigkeitsbereich er sich in etwa befand. Ein Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 25 km/h ist – auch bei einem Fe – keine unerhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung. Zu bedenken ist dabei, dass die vom Kläger mindestens gefahrene Geschwindigkeit nahe an der auf Landstraßen generell gegebenen Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h lag und die Beschränkung auf 70 km/h gerade die in diesem Bereich auftretenden erhöhten Gefahren vermeiden soll. Es handelt sich insoweit um eine derart relevante Geschwindigkeitserhöhung, dass diese dem Kläger nicht verborgen bleiben konnte. Der Kläger selbst hat bei seiner Anhörung ausgeführt, er sei, als er das Fahrzeug der Zeugin M überholt habe, sicher schneller als 70 km/h gefahren. Danach habe er aber nicht weiter beschleunigt, als er den Üb...

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