BGB § 249 Abs. 2 § 631 ff.

Leitsatz

Verlangt der Geschädigte eines Verkehrsunfalls vom Schädiger die Freistellung von der Honorarforderung des von ihm mit der Erstellung eines Schadensgutachtens beauftragten Sachverständigen, richtet sich sein Anspruch grundsätzlich und bis zur Grenze des Auswahl- und Überwachungsverschuldens danach, ob und in welcher Höhe er mit der Verbindlichkeit, die er gegenüber dem Sachverständigen eingegangen ist, beschwert ist. Jedenfalls in diesem Fall des Freistellungsantrags ist auch für die schadensrechtliche Betrachtung (§ 249 BGB) des Verhältnisses zwischen Geschädigtem und Schädiger die werkvertragliche Beziehung (§§ 631 ff. BGB) zwischen Geschädigtem und Sachverständigem maßgeblich. (Rn.12)

BGH, Urt. v. 13.12.2022 – VI ZR 324/21

1 Sachverhalt

[1] Die Parteien streiten um den Ersatz weiteren Sachschadens in Gestalt einer COVID-19-Desinfektionspauschale nach einem Verkehrsunfall.

[2] Das Fahrzeug des Klägers wurde am 2.6.2020 bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten als Kfz-Haftpflichtversicherer des Unfallgegners steht dem Grunde nach außer Streit. Der Kläger beauftragte einen Kfz-Sachverständigen mit der Ermittlung der Schadenshöhe. Im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen wurden sowohl bei Hereinnahme des Fahrzeugs – insoweit zum Schutz der Mitarbeiter des Sachverständigen vor der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus – als auch vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Kläger – insoweit zu dessen Schutz – alle relevanten Fahrzeugteile, die planmäßig kurzfristig berührt wurden (z.B. Lenkrad, Schalthebel, Blinkerhebel, Scheibenwischerhebel, Türgriffe innen und außen) desinfiziert, wobei der Arbeitsaufwand jeweils mehrere Minuten betrug. Der Sachverständige stellte dem Kläger seine Tätigkeit in Rechnung und berechnete ihm hierbei für die genannten "COVID-19 Schutzmaßnahmen" einen Betrag von 17,85 EUR (15 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer). Der Kläger begehrt von der Beklagten die Freistellung von dieser Forderung.

[3] Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landgericht diese Entscheidung abgeändert und die Beklagte – bei Klageabweisung im Übrigen – lediglich zur Freistellung des Klägers in Höhe von 8,93 EUR (7,50 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer) verurteilt. Mit seiner vom Landgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger Freistellung auch im Übrigen, während die Beklagte mit ihrer Anschlussrevision ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiterverfolgt.

2 Aus den Gründen:

[4] I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts (BeckRS 2021, 51820 und juris unter Az. 5 S 42/21) sind die streitgegenständlichen Desinfektionskosten lediglich zur Hälfte ersatzfähig, nämlich insoweit, als die Desinfektionsmaßnahmen vor der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kläger erfolgt sind. Insoweit seien sie aus Sicht des Geschädigten erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB gewesen. In Zeiten der Corona-Pandemie könne der Geschädigte eines Unfallgeschehens eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen vor Abholung seines Fahrzeugs erwarten. Unabhängig davon, ob objektiv ein nennenswertes Risiko einer Schmierinfektion über Kontaktflächen bestehe, sei es eine über die bloße Lästigkeit hinausgehende Beeinträchtigung, wenn er das Fahrzeug ohne solche Maßnahmen entgegennehmen müsse. Das eigene Fahrzeug sei ein Raum der Privatsphäre, in dem die Empfindlichkeit hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse und möglicher Kontaminationen von außen besonders hoch sei. Der Geschädigte könne nicht abschätzen, welcher der ihm unbekannten Mitarbeiter des Sachverständigenbüros sich in dem Fahrzeug wie lange aufgehalten und welche Oberflächen er berührt habe. Aus seiner subjektiven Perspektive eines medizinischen Laien lasse sich eine Infektionsgefahr nach Abholung eines Fahrzeugs zumindest nicht ausschließen. Das Sicherheitsgefühl des Geschädigten erscheine in der Pandemie mit Blick auf die möglichen schweren Folgen einer Erkrankung und der zum Teil unklaren Informationslage schützenswert. Der Aufwand der vom Kläger unwidersprochen geschilderten Maßnahmen liege bei einigen Minuten Arbeitszeit zuzüglich Materialkosten. Die vom Sachverständigen für beide Arbeitsvorgänge veranschlagte Pauschale von 15 EUR, d.h. 7,50 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer je Arbeitsgang, sei angemessen und nicht überhöht.

[5] Die Kosten für die Desinfektionsmaßnahmen bei Hereinnahme des Fahrzeugs seien dagegen nicht erstattungsfähig. Es sei bereits zweifelhaft, ob der Sachverständige dem Kunden allgemeine Arbeitsschutzmaßnahmen gesondert in Rechnung stellen könne. Jedenfalls erschließe sich nicht, weshalb dem Schutz der Mitarbeiter des Ingenieurbüros nicht durch das Benutzen von Handschuhen oder Masken ausreichend Rechnung getragen werden könne. Die Mitarbeiter des Ingenieurbüros hätten sich, da das Fahrzeug nur äußere Beschädigungen aufgewiesen habe, nur kurzfristig – z.B. zum Bewegen des Fahrzeugs oder Ablesen des Tachostandes – im Fahrzeuginnern aufgehalten. Masken und Einmalhandschuhe könnten dem Kun...

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