Sollten wir das unterstützen? Machen solche Quotentabellen überhaupt Sinn? Was können sie leisten?

Schon auf den ersten Blick ist klar, dass eine Quotentabelle nur begrenzte Aussagen machen kann. Ihre Quoten sind Standardquoten für Standardtypen von Verkehrsunfällen, befreit von dem "Ballast" aller "Atypik" der konkreten Begebenheit. Die Tabelle muss die Typik als solche durch ein grobes Raster herausstellen, damit der konkrete Sachverhalt unter den Regelsatz der Quote subsumiert werden kann. Interpolieren für andere Situationen ist nur sehr begrenzt möglich.

Auch Untergliederungen müssen holzgeschnitten sein: je weiter die Tabelle eine 3. und 4. Unterebene ausdifferenziert, umso enger wird ihr Anwendungsbereich und umso mehr verlässt auch die Quote die Typik und umso eher verschwindet ihr Richtlinien-Charakter.

Sie darf – weil sie sich der Typik verschrieben hat – nicht zu kleine Quoten auswerfen, um nicht zu suggerieren, dass sie mit der Feingoldwaage wägt, was sie unglaubwürdig machen würde; 1/10-Quoten sind eigentlich nicht mehr vertretbar.

Ihre Quoten sagen nichts über das Gewicht des isolierten Beitrags, sondern nur über sein Verhältnis zum Beitrag des Kontrahenten aus; sind mehr als zwei Kraftfahrzeuge am Unfall beteiligt, wird sie ziemlich sicher ungeeignet.

So sind die "echten" Quotentabellen – im Gegensatz zu geordneten Entscheidungssammlungen – auch angelegt; allerdings mit unterschiedlichen Rastern: z.B. enthält die Hamburger Tabelle für Zusammenstöße auf Kreuzungen bzw. an Einmündungen mit Kraftfahrzeugen des Querverkehrs 18 Konstellationen; die Münchener Quotentabelle 12.

Demgegenüber zeigt die geordnete Entscheidungssammlung von Grüneberg mit 62 Konstellationen, wie viele unterschiedliche Unfälle auf Kreuzungen und an Einmündungen tagtäglich konkret passieren.

Für die Beurteilung der Vor- und Nachteile der Quotentabelle ist noch an einige Binsenwahrheiten zu erinnern:

je mehr "tabellen-typisch" die Fälle reguliert werden, umso weiter entfernt sich die Regulierung vom konkreten Unfallgeschehen;
je mehr den Umständen des Einzelfalls Geltung verschafft wird, umso geringer ist der Nutzen einer Quotentabelle;
je mehr Varianten des Unfallgeschehens die Quotentabelle berücksichtigen will, umso eher suggeriert sie dem Nutzer, wenn er eine "passende" Tabellenrubrik gefunden zu haben meint, dass er den Einzelumständen Rechnung trägt und deshalb gerechter entscheidet.

Fälschlich: denn jeder Unfall – selbst wenn er alle Faktoren der Tabellenrubrik erfüllt – hat in der Gewichtung des konkreten Zusammentreffens dieser Faktoren im Unfallgeschehen ein "individuelles" Gepräge: Kreuzung und Straßenverlauf eingebettet in unterschiedliche örtliche Umbauungen; Lichtsignalanlagen mit unterschiedlicher Aufmerksamkeitsanforderung und unterschiedlichen Schaltzeiten; Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit durch weitere Verkehrszeichen; Verkehrsdichte; Verhalten des voraus- bzw. nachfahrenden Kfz; Verhalten von Fußgängern und Radfahrern an der Kreuzung; Tageszeit; Sicht- und Wetterverhältnisse; Stoßzeit usw.; sowie auch für § 17 StVG nicht zu vernachlässigen die Befindlichkeit des Fahrers.

Orientierung an der Quotentabelle verleitet dazu (und soll das auch bewirken), die Abwägung an "typischen" Unfallsituationen und deren Gewichte, die ihre Verfasser vorgeben, an der Tabelle auszurichten: im Interesse des Entscheidungsgleichklangs; "ius est ars boni et aequi".

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