Die Reduzierung der Ansprüche des Halters eines Kraftfahrzeugs durch die Betriebsgefahr beschäftigt derzeit auch den EuGH. In einem Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal da Relação Porto (Portugal), eingereicht am 30.11.2009 – Manuel Carvalho Ferreira Santos/Companhia Europeia de Seguros, S. A., (Rechtssache C-484/09) – wird an den EuGH die Frage gestellt, ob die Haftungsreduzierung durch die Anrechnung der Betriebsgefahr gegen Bestimmungen aus der ersten, zweiten und dritten Kraftfahrthaftpflichtrichtlinie[19] verstößt. Konkret lautet die Vorlagefrage:

Verstößt bei einem Zusammenstoß von Fahrzeugen, den keiner der Fahrer verschuldet hat und durch den einem der Fahrer (dem Geschädigten, der eine Entschädigung verlangt) körperliche und materielle Schäden entstanden sind, die Möglichkeit, die Gefährdungshaftung aufzuteilen (Art. 506 Abs. 1 und 2 des Código Civil), mit unmittelbarer Auswirkung auf die Höhe der dem Geschädigten für die aus seinen körperlichen Verletzungen resultierenden Vermögens- und Nichtvermögensschäden zu zahlende Entschädigung (denn diese Aufteilung der Gefährdungshaftung führt zu einer entsprechenden Minderung der Entschädigung), gegen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie (72/166/EWG) (1), Art. 2 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG) (2) und Art. 1 der Dritten Richtlinie (90/232/EWG) (3) in der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften?

Die in der Vorlagefrage zitierten Artikel der drei Richtlinien haben jeweils folgenden Wortlaut:

RL 72/166/EWG, Artikel 3

Zitat

(1) Jeder Mitgliedstaat trifft vorbehaltlich der Anwendung des Artikels 4 alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitäten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt.

RL 84/5/EWG, Artikel 2

Zitat

(1) Jeder Mitgliedstaat trifft zweckdienliche Maßnahmen, damit jede Rechtsvorschrift oder Vertragsklausel in einer nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG ausgestellten Versicherungspolice, mit der die Nutzung oder Führung von Fahrzeugen durch

hierzu weder ausdrücklich noch stillschweigend ermächtigte Personen oder
Personen, die keinen Führerschein für das betreffende Fahrzeug besitzen, oder
Personen, die den gesetzlichen Verpflichtungen in Bezug auf Zustand und Sicherheit des betreffenden Fahrzeugs nicht nachgekommen sind,

von der Versicherung ausgeschlossen werden, bei der Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG bezüglich der Ansprüche von bei Unfällen geschädigten Dritten als wirkungslos gilt.

Die im ersten Gedankenstrich genannte Vorschrift oder Klausel kann jedoch gegenüber den Personen geltend gemacht werden, die das Fahrzeug, das den Schaden verursacht hat, freiwillig bestiegen haben, sofern der Versicherer nachweisen kann, dass sie wussten, dass das Fahrzeug gestohlen war.

Den Mitgliedstaaten steht es frei, bei Unfällen auf ihrem Gebiet Unterabsatz 1 nicht anzuwenden, wenn und soweit das Unfallopfer Schadenersatz von einem Sozialversicherungsträger erlangen kann.

RL 90/232/EWG, Artikel 1

Zitat

Unbeschadet des Artikels 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 84/5/EWG deckt die in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG genannte Versicherung die Haftpflicht für aus der Nutzung eines Fahrzeugs resultierende Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers.

Im Sinne der vorliegenden Richtlinie entspricht der Begriff "Fahrzeug" dem in Artikel 1 der Richtlinie 72/166/EWG festgelegten Begriff.

Der Hintergrund dieser Anfrage besteht in der Verknüpfung der Betriebsgefahr mit der Pflichtversicherung. Die Halter der Kraftfahrzeuge, von denen eine Betriebsgefahr ausgeht, leisten die Haftpflichtprämien, aus denen dann im Wege einer Solidargemeinschaft aller Kfz-Halter die durch die Kraftfahrzeuge auch ohne Verschulden der Fahrer verursachten Schäden erstattet werden. Nutznießer dieser Pflichtversicherung sind insbesondere die so genannten schwachen Verkehrsteilnehmer, also Fußgänger und Radfahrer, die ohne eigene Beitragsleistung aus diesem Topf ihre Schadensersatzleistungen beziehen. Kann ihnen ein eigenes Verschulden nicht nachgewiesen werden, erhalten sie stets vollen Schadensersatz. Auch ein Mitverschulden wird in den meisten Staaten nur berücksichtigt, wenn es einen gewissen Schweregrad erreicht.

Aus der Sicht des vorlegenden portugiesischen Gerichts erscheint es ungerecht, dass die Berücksichtigung der Betriebsgefahr gerade bei den Verkehrsteilnehmern, von denen die Prämien getragen werden, zur Kürzung der Ansprüche führt, obwohl sie gerade diese Betriebsgefahr durch ihre Haftpflichtprämie absichern. Andererseits erhält der schwache Verkehrsteilnehmer, der schuldlos bei einem Verkehrsunfall verletzt wird, vollen Schadensersatz, obwohl er sich am Solidarsystem der Kfz-Halter nicht beteiligen muss.

In der Tat erscheint das Ergebnis etwas paradox, wenn man die H...

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