Einführung

Motorrad- und Rollerunfälle gehen mit zuweilen schweren Verletzungen einher. Mangels einer schützenden Außenkonstruktion sind die Fahrer den Verkehrsrisiken gegenüber exponiert und können sich nur bedingt mit entsprechender Bekleidung schützen. Verwirklicht sich das latente Risiko im Schadensfall, drängt sich die Frage auf, ob andere oder bessere Kleidung die Folgen verhindert hätte. Schadensrechtlich sind vermeintlich klare Mithaftungseinwände jedoch eher schwierig zu begründen:

I. Durch Schaden wird man klug …

Die Heldinnen und Helden von morgen lernen Laufradfahren noch vor dem Sprechen. Dabei werden manche von ihren Helikoptereltern in drei Lagen Luftpolsterfolie gepackt, während andere aus pädagogischen Gesichtspunkten und zur Immunstärkung möglichst luftig bekleidet über den Asphalt brettern. Spätestens mit Erwerb des Führerscheins hat man sich dann aber modisch emanzipiert und wird vor Besteigen des nunmehr motorisierten Zweirades zu selbstständigen Vernunfterwägungen angehalten.

Selbst in den alten Sagen gab es keinen Anzug, der einen hundertprozentigen Schutz vor Verletzungen bietet. Zugegeben: Das Fachhandelssortiment hat sich seit den Zeiten von Achilles und Siegfried deutlich verbessert. Spezialbekleidung mit Protektoren ist für jeden Geldbeutel und in unterschiedlicher Qualität erhältlich. Im Unglücksfall stellt sich demnach die Frage: Welche Bekleidung ist hier vernünftig und – soweit sie fehlt – kann man das dem Verletzten anlasten?

Trotz der großen Zahl an Unfällen mit motorisieren Zweirädern sind vergleichsweise wenige Urteile hierzu publiziert. In der einschlägigen Fachliteratur wird zudem die Entwicklung in der Rechtsprechung oft unzureichend wiedergegeben. Ein flüchtiger Blick verleitet daher vorschnell zum Eindruck, fehlende Schutzkleidung führe automatisch zur Mithaftung. Tatsächlich ist stets eine differenzierte und ausführliche Bewertung des Einzelfalls geboten:

II. Kurze Sommerfahrt mit Folgen

Diesbezüglich hatte das Landgericht Aschaffenburg einen Fall zu entscheiden, in welchem ein Motoradfahrer schwer verletzt wurde.[2] Der Triathlet war an einem heißen Sommerabend auf dem Heimweg vom Schwimmtraining – bekleidet mit Helm, Turnschuhen, kurzer Hose, T-Shirt und Sportjacke. Das Schwimmbad liegt im fünf Kilometer entfernten Nachbarort und ist über einen wenig befahrenen Flurweg zu erreichen. Als der Motorradfahrer bereits wieder in der Stadt auf der Vorfahrtsstraße war, fuhr ihm die Unfallgegnerin aus Unachtsamkeit in den Weg. Wie ein Unfallrekonstruktionsgutachten später feststellte, kollidierte er mit einer Geschwindigkeit von ca. 45 km/h mit dem Pkw und flog über dessen Motorhaube hinweg 16 Meter weit. Erstaunlicherweise erlitt der Geschädigte keinerlei Abschürfungen, jedoch zahlreiche massive Knochenbrüche und Quetschungen vor allem am Fuß, im Beckenbereich und an der Schulter.

Die gegnerische Versicherung wandte wegen fehlender Motorradschutzkleidung pauschal eine Mithaftung von 1/3 ein. Im Verfahren beriefen sich die Beklagtenvertreter sehr ausführlich auf amtliche Statistiken und Empfehlungen der Verbände. Das Landgericht Aschaffenburg konnte hier keine durchgreifenden Mithaftungseinwände erkennen. Es erlegte der Beklagten letztlich die volle Haftung auf.

Bevor hier die wesentliche Urteilsbegründung wiedergegeben wird, ist auf die rechtliche Ausgangslage und auf den derzeitigen Stand der Rechtsprechung einzugehen.

[2] Grundurteil und (Teil-)Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 15.6.2021 – 22 O 185/19 – rechtskräftig.

III. Rechtliche Ausgangslage

Die Mithaftung kann sich allenfalls aus einer Obliegenheitsverletzung ergeben, deren Vorliegen und Kausalität die Schädigerseite darzulegen und zu beweisen hat. Damit wird sie sich regelmäßig schwertun.

1. Keine gesetzliche Verpflichtung zum Tragen von Schutzkleidung

Eine gesetzliche Verpflichtung zum Tragen von Schutzkleidung und -schuhen existiert seit dem 10.12.2020 lediglich für die Fahrprüfung gem. Nr. 2.2.18 der Anlage 7 zur Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Danach müssen die Prüflinge geeignete Motorradschutzkleidung, bestehend aus einem passenden Motorradhelm, Motorradhandschuhen, einer eng anliegenden Motorradjacke, einem Rückenprotektor (falls nicht in Motorradjacke integriert), einer Motorradhose und Motorradstiefeln mit ausreichendem Knöchelschutz tragen. Nach Anlage 2.1 zu § 4 Fahrschüler-Ausbildungsverordnung sind die Anforderungen an geeignete Schutzkleidung im Rahmen der theoretischen Fahrstunden zu behandeln. Im Übrigen sieht das Gesetz bei offenen Kraftfahrzeugen mit mehr als 20 km/h jedoch lediglich die Helmpflicht vor, gem. § 21a Abs. 2 S. 1 StVO – falls keine Rahmenkonstruktion mit Gurtsystem vorhanden ist.[3]

Sofern man in der aktuellen Ergänzung zur FeV einen Erst-Recht-Schluss von der Fahrprüfung auf die Fahrpraxis ziehen wollte, lässt sich zum einen entgegenhalten, dass es für eine analoge Anwendung an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Zum anderen gilt zu bedenken, dass beim Fahrschüler im Gegensatz zum "fertigen" Fahrer das sichere Führen des Kraftrades noch nicht vermutet wird. Dies mag auch erklären, weshalb die Schutzkleidung in der Ausbildung thematisiert, jedo...

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