Das einvernehmliche Vorziehen einer Hauptverhandlung in Bußgeldsachen verstößt nicht gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz. Es gelten die folgenden Grundsätze: Findet eine Hauptverhandlung statt, muss diese öffentlich sein. Es genügt, wenn ein präsentativer Teil von potenziellen Zuhörern teilnehmen kann. Nicht erforderlich ist, die Hauptverhandlung zwingend zum ursprünglich angekündigten Zeitpunkt stattzufinden zu lassen, einer unbegrenzten Zahl von Interessierten das Zuhören zu ermöglichen oder ihnen an konkreten Hauptverhandlungen eine verbindliche zeitliche Vorplanung zu ermöglichen.

Mich erstaunt, dass die Angst den Öffentlichkeitsgrundsatz zu verletzten, so stark ausgeprägt sein kann, während über andere Verfahrensvorschriften, die ich als deutlich gewichtiger empfinde, oft sehr leicht hinweggegangen wird. Dazu gehören nach meiner Auffassung Ladungen zu Hauptverhandlungen in Bußgeldsachen, die jegliche Konkretisierung des Tatvorwurfs vermissen lassen, weil sie noch nicht einmal einen Bezug zu einem konkreten Bußgeldbescheid enthalten.[22] Dem Rechtsstaat dienen strengere Anforderungen an die Ladung mehr als überzogene zur Öffentlichkeit der Verhandlungen.

Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist gerade in Bußgeldsachen stärker als in Strafsachen durch den Gedanken der Effizienz der Rechtspflege beschränkt. Anders als in Strafsachen gibt es keine praktische Nachfrage der Öffentlichkeit, sich Kenntnis über konkrete Hauptverhandlungen in Bußgeldsachen verschaffen zu wollen. Das Gesamtangebot an Bußgeldverhandlungen genügt, um sich Kenntnisse zum allgemeinen Verlauf von Bußgeldverhandlungen zu verschaffen. Es müssen deshalb keine verfahrensrechtlichen Hindernisse gegen eine einvernehmliche Vorziehung von Hauptverhandlungen in Bußgeldsachen bestehen. Zur Klarstellung und Absicherung für die besonders vorsichtigen Richter könnte aber eine Ergänzung in § 71 Abs. 1 OWiG, wie oben vorgeschlagen, vorgenommen werden.[23]

Autor: Rechtsanwalt Dr. Hermann Junghans, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Mediator, Lübeck

zfs 3/2022, S. 124 - 128

[22] Junghans, Formulierungsmängel in Bußgeldbescheiden und Ladungen zur Hauptverhandlung in Bußgeldsachen, Der Verkehrsanwalt, 02/2019, S. 50–56.
[23] Dies wäre auch ein Beitrag zur Fortentwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes, die, wie Mayer betont, auf keinen Fall als abgeschlossen anzusehen ist. Mayer a.a.O. zu § 169 Rn. 1.

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