Zwar kann der Reisende vor Reisebeginn jederzeit vom (Pauschal-)Reisevertrag zurücktreten, jedoch kann der Reiseveranstalter dann grundsätzlich eine angemessene Entschädigung verlangen (§ 651h Abs. 1 BGB). Üblicherweise sind in den Reisebedingungen der Veranstalter Entschädigungspauschalen in Form von Stornostaffeln geregelt (vgl. § 651h Abs. 2 BGB). Der Reiseveranstalter kann jedoch dann keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären (§ 651h Abs. 3 BGB).[6]

Da die meisten betroffenen Reisenden sich – insbesondere zu Beginn der Pandemie – von den in vielen Fällen lange vor der Krise gebuchten Pauschalreisen möglichst entschädigungslos lösen wollten, die Veranstalter aber oft eine sichere Durchführbarkeit der Reisen behaupteten (und daher die Rücktrittsentschädigung geltend machten), kam es im Berichtszeitraum häufig zum Streit über die Zahlung der Entschädigung an den Veranstalter bzw. Rückzahlung des Reisepreises an den Reisenden. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die Auslegung des § 651h Abs. 3 BGB im Jahr 2020 zu einer der umstrittensten reiserechtlichen Probleme überhaupt.[7] Letztlich erging dazu eine Vielzahl von Einzelfallentscheidungen.

[6] Zum Pauschalreiserecht in Zeiten der COVID-19-Pandemie: Führich, NJW 2020, 2137; Löw, NJW 2020, 1252; Ruks, jM 2021, 2; Stamer, RRa 2020, 270; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1021; Tonner, Anzahlungen und Restzahlungen bei Pauschalreisen während der Corona-Krise, Kurz-Gutachten für den Verbraucherzentrale-Bundesverband, April 2020.
[7] Vgl. dazu Bergmann/Tonner, RRa 2021, 3.

1. AG Frankfurt a.M. (11.8.2020)

Bereits mit Urt. v. 11.8.2020 entschied das AG Frankfurt a.M.,[8] dass keine allzu strengen Anforderungen an das Vorliegen der unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umständen zu stellen seien. Der dortige Kläger hatte im Mai 2019 eine Flugreise nach Neapel (Flug und Hotel) für April 2020 gebucht. Unter dem Eindruck der dramatischen Entwicklung in Italien stornierte der Kläger Anfang März 2020 und begehrte die Rückzahlung des geleisteten Reisepreises. Dazu führt das AG Frankfurt zutreffend aus, dass auf den Zeitpunkt des Rücktritts abzustellen ist. Es handelt sich bei der Beurteilung der außergewöhnlichen Umstände um eine Prognoseentscheidung, für die es auf eine ex-ante-Betrachtung ankommt. Nicht zwingend erforderlich sind eine bereits vorliegende Reisewarnung[9] für das Reisegebiet oder ein erfolgter Ausbruch am Zielort. Es genügt bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung.

[8] AG Frankfurt a.M., Urt. v. 11.8.2020 – 32 C 2136/20 (18), BeckRS 2020, 19493 = COVuR 2020, 538 = DAR 2020, 571 (m. Anm. Stamer) = NJW-RR 2020, 1315 = VuR 2020, 391.
[9] Aktuell zur COVID-19-Reisewarnung des Auswärtigen Amts: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.2.2021 – OVG 10 S 53/20 (keine Rechtsverletzung deutscher Reiseveranstalter).

2. AG Köln (14.9.2020)

Mit Urt. v. 14.9.2020 kam auch das AG Köln[10] zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Klägerin hatte im Januar 2020 eine Flugpauschalreise nach Japan für April 2020 gebucht. Anfang März 2020 wollte sich die Klägerin vom Reisevertrag lösen – wegen der Infektionslage in Japan. Sie begehrte vom Reiseveranstalter die Rückzahlung der geleisteten Anzahlung. Dieser machte jedoch die Stornopauschale geltend und berief sich unter anderem darauf, dass bereits im Buchungszeitpunkt der Reise Infektionen in Asien bekannt gewesen seien. Das AG Köln legt die begrifflich weit gefasste Erklärung der klagenden Reisenden als Rücktritt im Sinne des § 651h BGB aus. Wie auch das AG Frankfurt a.M. führt das AG Köln aus, dass es auf den Kenntnisstand im Zeitpunkt der Ausübung des Rücktrittsrechts ankommt. Zu den Details der Prognoseentscheidung greift das AG Köln zurück auf die Rechtsprechung zum alten Reiserecht. In seinem Urt. v. 15.10.2002[11] urteilte der BGH, dass ein Kündigungsrecht wegen höherer Gewalt (nach jetzigem Recht: Rücktritt infolge außergewöhnlicher Umstände) auch dann besteht, wenn mit dem Eintritt eines schädigenden Ereignisses mit erheblicher, und nicht erst mit überwiegender, Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. Dabei ließ der BGH eine meteorologische Prognose von 25 % für den Eintritt eines Hurrikans ausreichen. Die Kriterien der Hurrikan-Entscheidung sind nach Ansicht des AG Köln unter anderem auch auf die Gefährdung durch Krankheitsepidemien zu übertragen und auch unter Geltung des jetzigen Rechts anzuwenden. So sind an die Darlegung und den Nachweis der konkreten Umstände im Reisegebiet zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Auch reine Sicherhe...

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