Einführung

Das Patientenrechtegesetz mit den Änderungen des BGB stand und steht mit seinem Inkrafttreten im Fokus der Öffentlichkeit. Es ist davon auszugehen, dass Rechtsanwälte und Krankenkassen vermehrt mit vermuteten ärztlichen Behandlungsfehlern konfrontiert werden. Um diese aufklären zu können ist es ratsam, vor Einleitung eines Arzthaftungsprozesses ein Gutachten zu der Frage einzuholen, ob den beschuldigten Ärzten eine Verfehlung überhaupt nachgewiesen werden kann. Zwar sind nach der Rechtsprechung des BGH an die Substantiierungspflichten einer Klage nur "maßvolle und verständige" Anforderungen zu stellen, "weil vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann".[1] Eine Klage kann also auch ohne eine sachverständige medizinische Beratung eingereicht werden. Dennoch erscheint es sinnvoll, sich vor der Rechtshängigkeit medizinischen Rat einzuholen, um nicht einen möglicherweise aussichtslosen Prozess mit seinen finanziellen Folgen zu führen.

[1] So z.B. BGH, Urt. v. 15.7.2003 – VI ZR 203/02.

A. Grundlagen eines Anspruchs auf Schadensersatz und Schmerzensgeld

Ein Anspruch ist dann gegeben, wenn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 280 BGB vorliegen. Schon die Begründung des Entwurfs des Patientenrechtegesetzes weist darauf hin, dass dieser Paragraf die "zentrale Haftungsvorschrift" darstelle.[2] Demnach schuldet der Arzt Schadensersatz, wenn er eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt und hierdurch ein Schaden entstanden ist. Mit "Schuldverhältnis" ist der nun neu in das BGB eingefügte Behandlungsvertrag (§§ 630a ff.) gemeint. Die sich aus diesem Vertrag ergebenden Pflichten des Arztes sollen Gegenstand der nachfolgenden Bemerkungen sein, denn gerade hier scheint selbst in der Fachwelt noch eine terminologische Konfusion zu herrschen. Was der Arzt im Einzelfall schuldet, ist Gegenstand eines ärztlichen Gutachtens und kann regelmäßig nicht von einem Juristen beantwortet werden. Gesetzgeber, juristische Literatur und Rechtsprechung können (und müssen) aber den Rahmen vorgeben, in dem der Gutachter seine Feststellungen trifft.

[2] Begründung des Gesetzentwurfes "Patientenrechtegesetz", S. 15.

B. Allgemein anerkannte fachliche Standards (§ 630a Abs. 2 BGB)

Der Gesetzgeber hat nun das erste Mal konkretisiert, was die Literatur unter den in § 276 und § 280 BGB genannten "Sorgfaltspflichten" versteht, nämlich die "zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten fachlichen Standards".[3] So lobenswert dieser Versuch einer Konkretisierung ist, erscheint diese Definition angesichts der in der juristischen Literatur hierzu vertretenen genaueren Ausformungen doch mehr oder weniger inhaltsleer zu sein. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, etwas "Licht ins Dunkel zu bringen" und darzustellen, was hierunter verstanden wird und werden kann.

[3] Vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozess, 22. Aufl., S. 456.

I. Zwei Aspekte des Standardbegriffes (zugleich der Rahmen für die Feststellungen des Gutachters)

Den ärztlichen Standard kann zunächst nur ein Mediziner ermitteln, nicht ein medizinischer Laie. Zwar klingt diese Aussage banal. Aber selbst diese Frage war nicht unumstritten, da bis zum BGH prozessiert wurde.[4] Dieser stellte klar, dass das Gericht grundsätzlich einen Sachverständigen zu beauftragen hat. Und dieser muss seine Feststellungen für den konkreten Einzelfall treffen. Das ergibt sich aus dem Gesetzestext (" … zur Zeit der Behandlung bestehenden … "). Bei seinen Ausführungen kann er aber nicht völlig frei zu Werke gehen. Den Rahmen seines Gutachtens bieten zwei Aspekte, nämlich die "wissenschaftliche Erkenntnis" und die "Akzeptanz in der Profession".[5]

[5] Hart, Patientensicherheit, Fehlermanagement, Arzthaftungsrecht, MedR (2012) 30, S. 12.

II. Primärer Aspekt: Evidenzbasierte Medizin

Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten nach den Grundsätzen der "evidenzbasierten Medizin" zu behandeln. Dieser Begriff besagt, dass der Arzt grundsätzlich die Therapiemethode zu wählen hat, die eine "wissenschaftlich am besten gesicherte Nachweisbarkeit (Evidenz)" erbringt.[6] Der Gutachter sollte daher bei der Bestimmung des Standards solche therapeutischen Maßnahmen als Maßstab nehmen, deren Wirksamkeit in der Wissenschaft – unter Berücksichtigung des Risikos – als gesichert gilt.[7] Diesen "gesicherten Wirksamkeitsnachweis" wird man am besten dann belegen können, wenn mehrere vergleichbare Studien vorliegen und diese mit einer größeren Anzahl von Patienten durchgeführt wurden ("Hoher Evidenzgrad"). Doch keine Regel ohne Ausnahme: Gibt es wenige oder gar keine Studien, "ist hieraus nicht automatisch zu schlussfolgern, dass eine Standardverletzung vorliegt."[8]

[6] Gaßner/Strömer, Arzthaftung bei der Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patienten, MedR 2012, S. 160.
[7] Gaßner/Strömer, ebd.
[8] Gaßner/Strömer, ebd. mit näheren Ausführungen.

III. Sekundärer Aspekt: Tatsächliche Akzeptanz in der medizinischen Praxis

Bei der Beurteilung einer Standardverletzung hat der Gutachter die medizinische Praxis mit einzubeziehen. Wenn eine verwendete Therapiemethode in der Wissenschaft und Praxis allgemein anerkannt ist, kann nicht von einer Standardverletzung gesprochen werden.[9] Davon können sich aber auch Abweichungen ergeben:

Wird eine Therapiem...

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