StGB § 315d Abs. 1 Nr. 3

Leitsatz

Allein der Umstand, dass der Angeklagte unter Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und von Vorfahrtsregelungen vor der Polizei flüchtete, genügt nicht zur Annahme der nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Absicht, auf einer nicht unerheblichen Wegstrecke die unter den konkret situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.10.2022 – 1 OLG 2 Ss 27/22

1 Sachverhalt

Das AG hat den Angeklagten wegen "illegalem" Kraftfahrzeugrennen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von neun Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Seine Berufung hat das Landgericht als unbegründet verworfen. Das LG hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Der Angeklagte wurde am 3.6.2021 gegen 1.48 Uhr von einer Polizeistreife auf einem Parkplatz angetroffen, wo er mit seinem Pkw Mercedes-Benz SL 55 AMG mit durchdrehenden Reifen fahrend und um Parkplatzbegrenzungen driftend angekommen war. Als der Polizeibeamte an sein Fahrzeug herantrat, um ihn einer Personenkontrolle zu unterziehen, setzte der Angeklagte sein Fahrzeug abrupt aus der Parklücke zurück und beschleunigte den Pkw massiv, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und sich so der polizeilichen Kontrolle zu entziehen. Mit weit überhöhter Geschwindigkeit missachtete er eine rot zeigende Wechsellichtzeichenanlage, befuhr die sich anschließende Straße mit einer deutlich über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h liegenden Geschwindigkeit, ignorierte eine einmündende Vorfahrtsstraße und überfuhr mit mindestens 70 km/h eine weitere rot anzeigende Wechsellichtzeichenanlage. Nach einer Gesamtfahrtstrecke von 250 m bog der Angeklagte links ab. Dadurch verlor ihn der Polizeibeamte, der mit seinem Fahrzeug die Verfolgung aufgenommen hatte, aus dem Blick. Bei der anschließenden Nahbereichsfahndung wurde der Pkw von einer hinzugerufenen Streifenwagenbesatzung aufgefunden. Das LG hat den Sachverhalt rechtlich als verbotenes Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet. Dem Angeklagten sei es darum gegangen, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern, um sich der polizeilichen Kontrolle zu entziehen. Das OLG Zweibrücken hat auf die Revision des Angeklagten das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

2 Aus den Gründen:

[…] III. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft.

1. Bei einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB muss die Tathandlung im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht des Täters getragen sein, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht unerheblichen Wegstrecke die unter den konkret situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese Absicht braucht nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns zu sein. Es reicht vielmehr aus, dass der Täter das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen. Dies hat zur Folge, dass beim Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen auch sogenannte Polizeifluchtfälle von der Strafvorschrift erfasst werden, sofern festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei ist zu beachten, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Geschwindigkeit zu steigern (BGH, Beschl. v. 17.2.2021 – 4 StR 225/20, BGHSt 66, 27 Rn 16 f.; BGH, Beschl. v. 24.3.2021 – 4 StR 142/20, juris Rn 18 f.; BGH, Beschl. v. 29.4.2021 – 4 StR 165/20, NStZ 2021, 615 Rn 8 f.).

2. Das LG hat seine Überzeugung vom Vorliegen des Absichtselements ausschließlich auf die Bekundungen des den Angeklagten verfolgenden Polizeibeamten zu dessen Fahrverhalten gestützt. Es hat sich weder mit den auf der zurückgelegten Strecke unter den konkreten Gegebenheiten höchstmöglichen Geschwindigkeiten auseinandergesetzt, noch hat es dargelegt, inwieweit der Angeklagte versucht hat, diese zu erreichen. Allein der Umstand, dass der Angeklagte unter Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und von Vorfahrtsregelungen vor der Polizei flüchtete, genügt nicht, um auf die zur Verwirklichung des Tatbestandes erforderliche Absicht zu schließen. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers sollen bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht von der Strafbarkeit erfasst werden, selbst wenn sie erheblich sind (s. BT-Drucks 18/12964 S. 6). Soweit das Landgericht dara...

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