aa) Bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zu unterscheiden. Die haftungsbegründende Kausalität betrifft den Zusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und der Rechtsgutsverletzung, d.h. dem ersten Verletzungserfolg, häufig auch Primärverletzung oder Primärschaden genannt. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das die volle Überzeugung des Gerichts erfordert. Hingegen bezieht sich die haftungsausfüllende Kausalität auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Rechtsgutsverletzung und weiteren Schäden (Sekundärschäden). Hier richtet sich die Beweisführung nach § 287 ZPO; zur Überzeugungsbildung kann eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen.[12]

Die Unterscheidung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität ist nicht nur in Hinblick auf das unterschiedliche Beweismaß, sondern auch für den Verschuldensbezug im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB von Bedeutung. Der Verschuldensvorwurf muss sich auf den gesamten haftungsbegründenden Tatbestand – mithin auch auf die haftungsbegründende Kausalität – nicht hingegen auf die haftungsausfüllende Kausalität und die sich aus der Rechtsgutsverletzung ergebenden Folgeschäden erstrecken.[13] Dies kann zum Beispiel bei der Beurteilung von auf § 823 Abs. 1 BGB gestützter Schadensersatzbegehren wegen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen zum Tragen kommen. Handelt es sich bei den psychischen Störungen nicht um haftungsausfüllende Folgewirkungen einer Primärverletzung, sondern sind sie durch den schadensstiftenden Vorgang unmittelbar hervorgerufen worden und selbst die Primärverletzung – treten sie also haftungsbegründend durch die psychische Reaktion auf ein schädigendes Ereignis ein – so kommt eine verschuldensabhängige Haftung nur in Betracht, wenn sie für den Schädiger vorhersehbar waren.[14]

Bei psychischen Störungen kommt der Unterscheidung zwischen dem haftungsbegründenden und dem haftungsausfüllenden Zusammenhang auch für die Begrenzung der Haftung unter Schutzzweckerwägungen Bedeutung zu. Denn sie bestimmt den Bezugspunkt für die Prüfung, ob die Störungen auf eine sogenannte Bagatelle zurückzuführen sind. Bekanntlich kann die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen mit Krankheitswert zu verneinen sein, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist, nicht gerade speziell eine Schadensanlage des Verletzten trifft und die psychische Reaktion deshalb im konkreten Fall schlechterdings nicht mehr verständlich ist, weil sie in grobem Missverhältnis zum Anlass steht.[15] Anlass für die psychische Reaktion in diesem Sinne und damit Bezugspunkt für die Prüfung ist bei einer psychischen Primärverletzung die Verletzungshandlung bzw. das Verletzungsgeschehen (z.B. Unfall), bei einer psychischen Sekundärverletzung hingegen die – physische – Verletzung, deren Folge sie ist (z.B. HWS-Distorsion).[16]

bb) Die Abgrenzung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität ist nicht immer einfach und hängt häufig von medizinischen Vorfragen ab.

(1) Erläutert werden soll dies anhand der folgenden zwei Fälle zum komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS), das früher als Morbus Sudeck bezeichnet wurde.

Fall 1: Komplexes regionales Schmerzsyndrom als Sekundärschaden[17] : Der Kläger schlug sich mit dem Hammer auf den linken Zeigefinger und begab sich deswegen in die ärztliche Behandlung des Beklagten. Dieser fertigte ein Röntgenbild an und diagnostizierte danach eine starke Prellung. Er versorgte den Finger mit einem Verband und entließ den Kläger als arbeitsfähig. Einen Monat später rutschte der Kläger während der Arbeit aus und schlug mit dem linken Zeigefinger gegen eine Wand. Aufgrund dessen stellte er sich am bei einem anderen Arzt vor, der eine Refraktur des linken Zeigefingerendglieds diagnostizierte. Nachfolgend trat ein komplexes regionales Schmerzsyndrom ein. Der Kläger ist seitdem arbeitsunfähig. Er behauptete, er habe bereits durch den Hammerschlag eine Fraktur des linken Zeigefingerendglieds erlitten. Dies sei auf dem gefertigten Röntgenbild eindeutig zu erkennen. Der Zeigefinger hätte ruhiggestellt und er selbst hätte arbeitsunfähig geschrieben werden müssen. Infolge der unterlassenen Ruhigstellung sei es zur Entstehung des Morbus Sudeck gekommen.

Das Berufungsgericht bejahte einen Behandlungsfehler des Beklagten bei der Auswertung des Röntgenbildes. Die Diagnose einer Prellung sei falsch gewesen. Es habe tatsächlich eine Fraktur vorgelegen. Es verneinte aber die Kausalität zwischen der Fehlbehandlung und der Entstehung des Morbus Sudeck. Nach der Beurteilung des Sachverständigen sei ein Ursachenzusammenhang zwar sehr wahrscheinlich. Es sei aber möglich – wenn auch sehr unwahrscheinlich – dass sich der Morbus Sudeck allein aufgrund des ersten Unfalls vom 11.10.2002 entwickelt habe. Deshalb lasse sich nicht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit die Überzeugung gewinnen, dass der Behandlungsfehler die Sudecksche Heile...

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