VVG § 128 S. 2, 3; ARB 2000 § 18 Abs. 2 D

Leitsatz

1. Der Rechtsschutzversicherer ist auch dann zur Belehrung der Versicherungsnehmerin gem. § 128 S. 2 VVG verpflichtet, wenn er seine Leistungspflicht nur teilweise verneint.

2. Der Rechtsschutzversicherer hat sich bei einer Deckungsanfrage zu den geltend gemachten Ansprüchen vollständig und verbindlich zu erklären. Im Versicherungsvertrag nicht vorgesehene Vorbehalte, Bedingungen oder Einschränkungen bei einer Deckungszusage sind als Teilablehnung zu werten, weiche die Belehrungspflicht gem. § 128 S. 2 auslöst.

3. Unterlässt der Versicherer eine gem. § 128 S. 2 VVG erforderliche Belehrung, gilt das Rechtsschutzbedürfnis der Versicherungsnehmerin gem. § 128 S. 3 VVG als anerkannt. Der Umstand, dass die Versicherungsnehmerin durch einen Anwalt vertreten ist, der Inhalt und Bedeutung der erforderlichen Belehrung kennt, ändert an dieser Wirkung nichts.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.7.2019 – 9 U 11/18

Sachverhalt

Die Kl. hat geltend gemacht: Am 21.5.2014 sei sie in F. mit der Straßenbahn gefahren. Die Straßenbahn sei mit einem von der Schädigerin B. G. geführten Roller kollidiert. Für die Kollision sei allein die Schädigerin verantwortlich gewesen. Der Straßenbahnführer habe eine Vollbremsung ausgelöst. Dadurch sei die Kl. in der Straßenbahn gestürzt. Sie habe sich erhebliche Verletzungen mit gesundheitlichen Dauerfolgen zugezogen.

Mit einer E-Mail ihrer Rechtsanwältin vom 23.2.2016 wandte sich die Kl. an die Bekl. mit der Bitte um eine Deckungszusage für die außergerichtliche Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen gegen die Haftpflichtversicherung der Schädigerin. Dem Ersuchen war ein Entwurf eines Anspruchsschreibens gegen den Haftpflichtversicherer nebst umfangreichen medizinischen Unterlagen beigefügt. Mit Schreiben vom 14.3.2016 erklärte die Bekl., sie gewähre Deckungsschutz, jedoch "zunächst nur dem Grunde nach". Die aus dem Entwurfsschreiben der Kl. ersichtlichen Ansprüche seien weit übersetzt. Sie bitte darum, "die Höhe der geltend zu machenden Ansprüche abzustimmen".

Mit einem Schreiben vom 31.5.2016 gab die Rechtsanwältin der Kl. gegenüber der Bekl. eine begründete Stellungnahme zu den Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung ab. Die Prozessbevollmächtigte der Kl. wies darauf hin, der Stichentscheid sei für die Bekl. bindend. Die Bekl. war jedoch nicht bereit, eine über die Erklärung vom 19.4.2016 hinausgehende Deckungszusage zu erteilen.

2 Aus den Gründen:

"… 3. Die Bekl. kann sich nicht darauf berufen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Kl. biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg oder sei mutwillig (§ 18 Abs. 1 D. ARB 2000). Denn das Rechtsschutzbedürfnis der Kl. gilt gem. § 128 S. 3 VVG als anerkannt, weil die Bekl. die erforderliche Belehrung gem. § 128 S. 2 VVG unterlassen hat."

a) Die Voraussetzungen für eine Belehrungspflicht gem. § 128 S. 2 VVG liegen vor. Da die Bekl. ihre Leistungspflicht teilweise abgelehnt hat, war sie verpflichtet, die Kl. auf die Möglichkeit eines Stichentscheids (§ 18 Abs. 2 D. ARB 2000) hinzuweisen.

aa) Die Belehrungspflicht gem. § 128 S. 2 VVG gilt nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht nur dann, wenn der Versicherer Rechtsschutz vollständig versagt, sondern auch bei einer Teilablehnung (vgl. Prölss/Armbrüster, VVG, 30. Auflage 2018, § 128 VVG Rn 5). Für eine Verneinung der Leistungspflicht i.S.v. § 128 S. 2 VVG ist kein förmlicher Bescheid des Versicherers erforderlich. Es kommt vielmehr darauf an, wie ein Schreiben des Versicherers vom Versicherungsnehmer, der Rechtsschutz begehrt, zu verstehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Versicherungsnehmer, der Rechte gegenüber einem Dritten geltend machen will, regelmäßig auf eine schnelle und eindeutige Entscheidung des Rechtsschutzversicherers angewiesen ist, da von der Deckungszusage des Versicherers sein Kostenrisiko im Verfahren gegen den Dritten abhängig ist. Die vereinbarten Rechtsschutzbedingungen sehen in § 18 Abs. 1 eine Pflicht des Versicherers zur schnellen und eindeutigen Erklärung vor. Der Rechtschutzversicherer soll nicht die Möglichkeit haben, durch das Hinauszögern einer Erklärung oder durch die Abgabe einer unzulänglichen Erklärung über die Zugänglichkeit des Stichentscheid-Verfahrens zu disponieren (vgl. Bruns in Bruck/Möller, VVG Band 5, 9. Auflage 2019, § 128 VVG Rn 22). Dieser Gesichtspunkt ist bei der Auslegung der Schreiben der Bekl. mit zu berücksichtigen.

bb) Die Bekl. hat im Schreiben vom 19.4.2016 eine Deckungszusage abgelehnt für Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer, soweit diese einen Betrag von insgesamt 10.000 EUR übersteigen. Dieses Verständnis ergibt sich daraus, dass die Bekl. der Meinung war, sie müsse eine Zusage zur Gewährung von Rechtsschutz nur “dem Grunde nach' erteilen, ohne die Zusage auf die Höhe bestimmter Ansprüche zu erstrecken. Zu dieser Einschränkung war die Bekl. nicht berechtigt. Weder nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen noch nach den Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes hatte die Bekl. die Mögli...

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