"… Das Rechtsmittel hat mit der alleine in zulässiger Weise erhobenen Rüge der Verletzung materiellen Rechts den sich aus dem Tenor ergebenen Erfolg."

1. Nach den Feststellungen des LG brach der Angeklagte am 15.3.2016 gegen 7:40 Uhr mit seinem Pkw A (…), amtliches Kennzeichen (…), von zu Hause auf, um zu seinem Arbeitsplatz am W-Weg auf kürzester Strecke zu gelangen. Sein Fahrzeug war dabei auf dem Grundstückstreifen zwischen Wohnhaus und dem gepflasterten Gehweg der stadtauswärts führenden O-Straße geparkt. Da auf der O-Straße – wie an jedem Wochentag außerhalb der Schulferien – der Verkehr aufgrund seiner erhöhten Dichte ins Stocken geraten war, entschied sich der Angeklagte, diesen zu umgehen und die Entfernung bis zur nächsten Querstraße, der B-Straße, in die er zum Wenden ohnehin einfahren wollte, auf dem Geh- und Radweg zurückzulegen. Die bis zur B-Straße zurückzulegende Strecke von 15 m durchfuhr der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von etwa 10-15 km/h. Als er von dem Geh- und Radweg auf die B-Straße fuhr, befand sich der Zeuge P im Abbiegevorgang von der O-Straße auf die besagte Querstraße. Der Angeklagte wollte sich noch vor den Zeugen setzen und fuhr daher – zügiger als der Zeuge P – weiter auf die Straße ein. Dieses Verhalten zwang den Zeugen dazu, abrupt abzubremsen und dem Angeklagten und seinem Pkw auszuweichen, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Das Fahrzeug H des Zeugen P kam in einem Abstand zum Fahrzeug des Angeklagten von wenigen Millimetern bis zu maximal 3 cm zum Stehen. Im Falle einer Kollision wäre am Fahrzeug des Zeugen P ein Schaden von etwa 2.000–2.500 EUR entstanden.

Die Berufungskammer sieht dadurch den Tatbestand der vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung, § 315c Abs. 1 Nr. 2b), Abs. 3 Nr. 1 StGB erfüllt. Der Angeklagte sei von hinten an anderen, unter anderem dem Zeugen P … l, vorbeigefahren, der sich auf derselben Fahrbahn in derselben Richtung bewegte oder nur mit Rücksicht auf die Verkehrslage angehalten habe, wobei auch das Fahren über einen parallel zur Fahrbahn verlaufenden Fußweg zähle. Dabei stelle das Rechtsüberholen über den den Fußgängern vorbehaltenen Gehweg straßenverkehrsrechtlich ein Falschfahren beim Überholvorgang dar. Damit sei zugleich das tatbestandliche Erfordernis der groben Verkehrswidrigkeit erfüllt, denn in der konkreten Verkehrslage sei die Verkehrssicherheit nach generalisierender Würdigung in besonders schwerem Maße beeinträchtigt worden. Der Angeklagte habe nicht nur den auf der Fahrbahn befindlichen Verkehr rechtsseitig – und damit mit einem Überraschungseffekt für den redlichen Fahrbahnbenutzer verbunden – überholt, sondern habe sich zudem in einem für Pkw sehr schmalen Verkehrsraum bewegt, so dass für etwa aus einem der angrenzenden Häuser arglos auf den Gehweg heraustretenden Anwohner eine erhebliche Gefahr bestanden habe, von dem Angeklagten überrollt zu werden. Das gelte in besonderem Maße auch für das Passieren der Hausecke an dem Eckhaus zur B-Straße. Hierbei habe der Angeklagte einen relativ engen Bogen um die Hausecke fahren müssen, um sich vor den Zeugen P zu setzen, obwohl er, da die Hausecke undurchsichtig sei, quasi blind in den durch die Ecke verdeckten Verkehrsraum habe einfahren müssen. Alle diese Komponenten des Überholgeschehens addierten sich zu einer Gefährlichkeit, die das Falschfahren beim Überholvorgang als besonders schwere Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit erscheinen lasse. Der Angeklagte habe auch rücksichtslos gehandelt, denn er habe sich aus eigensüchtigen Gründen, nämlich seines schnellstmöglichen Fortkommens wegen, über die ihm bekannte Pflicht zur Benutzung der Fahrbahn hinweggesetzt. All diese Umstände seien dem Angeklagten bewusst gewesen, als er sich zu dieser Fahrweise entschlossen habe. Er habe damit vorsätzlich gehandelt. Durch seine grob verkehrswidrige Rücksichtslosigkeit habe er den nicht ihm gehörenden Pkw H der unmittelbar drohenden Kollision mit seinem Fahrzeug ausgesetzt, so das an dem nahezu neuwertigen H ein Sachschaden von 2.000–2.500 EUR entstanden wäre. Damit habe er eine fremde Sache von bedeutendem, nämlich 750 EUR übersteigendem Wert konkret gefährdet, was ihm wenigstens als Unachtsamkeit anzulasten sei. Dass auch der Zeuge P durch den unterlassenen Schulterblick zu der Gefährdung beigetragen habe, entlaste den Angeklagten nicht, denn er habe eine Bedingung gesetzt, die nicht hinweg gedacht werden könnte, ohne dass die betreffende Gefährdung entfallen würde.

2. Die Feststellungen des LG tragen die Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nicht. Das Verhalten des Angeklagten erfüllt nicht die allein in Betracht kommende Tatbestandsalternative des falschen Überholens oder des sonstigen Falschfahrens bei Überholvorgängen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2b) StGB).

Allerdings ist die Reichweite des Tatbestands des § 315c Abs. 1 Nr. 2b) StGB nicht auf Überholvorgänge im Sinne der Straßenverkehrsordnung – den tatsächlichen Vorgang des Vorbeifahrens von hinten an Fahrzeugen anderer Verk...

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