In dieser Entscheidung des LG Aurich sind drei Aspekte beachtenswert. Zunächst geht es um die Frage, ob ein unerlaubtes Sichentfernen i.S.d. § 142 StGB überhaupt gegeben ist, was unproblematisch bejaht werden kann. Die Wartepflicht des Unfallbeteiligten wurde hier verletzt. Etwas anderes könnte sich nur ergeben, wenn dieser die Polizei sofort benachrichtigt (OLG Nürnberg, Urt. v. 7.12.1965 – 7 U 45/65, VersR 1966, 945) oder die Geschädigten aktiv sucht, um sich als Schädiger zu erkennen zu geben (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl, 2011, § 142 StGB, Rn 40).

Sodann ist, hier im Rahmen des § 111a StPO, zu prüfen, ob der Regelfall des § 69 StGB, der mit Verwirklichung des § 142 StGB gegeben ist, möglicherweise durch Atypizität doch nicht gegeben ist, die Indizwirkung also gerade nicht eingreift. Hier ist bereits anerkannt, dass ein Sichentfernen aus achtenswerten oder doch begreiflichen Motiven zur Ablehnung der Indizwirkung führen kann (Fischer, StGB, 59. Aufl., 2012, § 69, Rn 30). Auch wenn sich der Schädiger am nächsten Tag bei der Polizei meldet, den Schaden reguliert und der Geschädigte nach Entschuldigung des Täters erklärt, kein Interesse an der Verfolgung zu haben, wird die Indizwirkung verneint (LG Zweibrücken, Beschl. v. 11.3.2003 – Qs 31/03, NZV 2003, 439). Ebenso kann dies geschehen, so nun das LG Aurich, wenn das Verhalten des Beschuldigten wie hier "gerade noch" den Tatbestand des § 142 StGB erfüllt, aber letzten Endes das Feststellungsinteresse der Geschädigten gewahrt wurde. Für § 69 StGB allgemein ist zu berücksichtigen, dass das Urt. bzw. der Beschl. ergeben muss, dass sich der Richter der Möglichkeit der wegfallenden Indizwirkung bewusst war und eine Abwägung aller fraglichen Umstände vorgenommen hat; die Annahme einer Ausnahme ist im Urt. näher zu begründen (Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., 2012, § 69 StGB, Rn 21).

Sollte wie hier die Strafbarkeit nur als geringwertig einzuschätzen sein, sollte seitens des Verteidigers eine Einstellung angeregt werden. Zwar ist nach Sichentfernen und Rückkehr die Tat i.d.R. schon vollendet, so dass ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch nicht in Betracht kommt. Allerdings wird sich in solchen Fällen – soweit nicht ohnehin § 142 Abs. 4 StGB (i.V.m. § 153b StPO) eingreift – eine Einstellung nach § 153 StPO, § 153a StPO empfehlen (Kudlich in: BeckOK StGB, Stand: 1.9.2012, § 142, Rn 17).

Schließlich beachtenswert ist die Prüfung des StrEG. Wenn der Beschuldigte trotz des von ihm angerichteten nicht unerheblichen Schadens den Unfallort, ohne Feststellungen zu seiner Person ermöglicht zu haben, unverzüglich verlassen hat, ist die Annahme grober Fahrlässigkeit i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG kaum zu vermeiden (KG Berlin, Beschl. v. 1.2.1983 – 3 Ws 12/83 – VRS 43, 373; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., 2012, § 5 StrEG, Rn 12 m.w.N.). Hier liegt zwar keine Alkoholisierung des Beschuldigten vor. Sein Verhalten ist dennoch als grob fahrlässig einzustufen, gerade wenn man bedenkt, dass der Unfall unter Zeugen geschah.

RiAG Dr. Benjamin Krenberger

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