Art. 5 EMRK; StGB § 67d

Leitsatz

Der Schadensersatzanspruch des Art. 5 Abs. 5 EMRK kann gegen das Bundesland geltend gemacht werden, dessen Gerichte die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 67d StGB i.d.F. von 1998 angeordnet und dessen Beamte diese Anordnung vollzogen haben.

(Leitsatz des Spruchkörpers)

OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2012 – 12 U 60/12

Sachverhalt

Der Kl. macht die Verurteilung des beklagten Bundeslandes wegen nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung auf Leistung immateriellen Schadensersatzes geltend. Nach Verbüßung der Freiheitsstrafe wurde ab 1989 die Sicherungsverwahrung vollstreckt. Nach dem damals geltenden Recht durfte die erstmals angeordnete Sicherungsverwahrung die Dauer von zehn Jahren nicht überschreiten. Die Höchstfrist wurde im Jahre 1998 aufgehoben und angeordnet, dass die Sicherungsverwahrung unter bestimmten Voraussetzungen weiter vollzogen werden dürfe. Die zuständige Strafvollstreckungskammer überprüfte und bejahte in regelmäßigen Abständen das Fortbestehen der Unterbringungsvoraussetzungen, Nachdem der EGMR die Änderung der Dauer der Sicherungsverwahrung für unvereinbar mit dem Freiheitsrecht des Art. 5 EMRK und dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK erklärt hatte, hob das zuständige OLG den Beschl. der Strafvollstreckungskammer über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf und veranlasste noch am Tage seines Beschl., dem 12.10.2010, die Entlassung des Kl. aus der Sicherungsverwahrung. Das BVerfG hat die Bestimmung über die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung wegen Verstoßes gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot und dem Freiheitsgrundrecht für verfassungswidrig erklärt. Der Kl. hat in der Inhaftierung von 1999 bis 2010, die unrechtmäßig gewesen sei, eine dem beklagten Land vorzuwerfende Amtspflichtverletzung gesehen und ein Schmerzensgeld gefordert, das entsprechend der Haftentschädigung für unberechtigte Haft mit 25 EUR pro Tag zu bemessen sei. Das LG ist dem gefolgt und hat der Klage i.H.v. 65.000 EUR stattgegeben. Die Entschädigung hat es unter Ansetzung eines Monatsbetrages von 500 EUR bemessen.

Die Berufung des beklagten Landes hatte keinen Erfolg.

2 Aus den Gründen:

"Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das beklagte Land ist dem Kl. nach Art. 5 Abs. 5 EMRK zur Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 65.000 EUR verpflichtet. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils im Rahmen der Berufung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des beklagten Landes ergeben. Der Senat teilt vielmehr die Auffassung des LG zu Grund und Höhe des zuerkannten Schadensersatzanspruchs und schließt sich den Ausführungen im angefochten Urteil in vollem Umfang an."

1. Zutreffend ist das LG davon ausgegangen, dass sich der Schadensersatzanspruch des Kl. unmittelbar aus Art. 5 Abs. 5 EMRK ergibt. Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt innerstaatlich mit Gesetzeskraft und gewährt in Art. 5 Abs. 5 EMRK dem Betr. einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch, wenn seine Freiheit Art. 5 Abs. 1 EMRK zuwider beschränkt wurde (BGH, Urt. v. 10.1.1966, BGHZ 45, 46-58, juris Tz. 14; BGHZ 122, 268-282, juris Tz. 15).

Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle sind völkerrechtliche Verträge, die unmittelbar die Vertragsstaaten binden und innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes stehen (BVerfGE 74, 358 (370); 82, 106 (120)). Deutsche Gerichte haben die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden. Die Gewährleistungen der Konvention und die Rspr. des EGMR beeinflussen die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes (BVerfGE 74, 358, 370; 83, 119, 128; BVerfG, Beschl. v. 20.12.2000 – 2 BvR 591/00 – NJW 2001, 2245, 2246 f.). Art. 5 Abs. 5 EMRK begründet dabei einen selbstständigen Anspruch auf Entschädigung, der in den Vertragsstaaten, die die Konvention und ihre Zusatzprotokolle in innerstaatliches Recht übernommen haben, unmittelbar vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden kann (BGHZ 45, 30 ff., juris Tz. 34; BGHZ 45, 46 ff., juris Tz. 15; BGHZ 122, 268 ff., juris Tz. 15; IntKommEMRK (Renzikowski) Art. 5 Rn 312).

2. Der Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK richtet sich gegen das beklagte Land.

Zweifel an der Passivlegitimation sind nicht deshalb begründet, weil die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften erfolgt ist. Zwar haben diese Vorschriften den Freiheitsentzug nach Ablauf der früheren Höchstfrist ermöglicht. Der unmittelbare Eingriff in das Freiheitsrecht hat sich jedoch erst aus der Anordnung der Verlängerung sowie dem Vollzug der Sicherungsverwahrung ergeben, die durch die Vollstreckungsbehörden des beklagten Landes erfolgt sind.

3. Die Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage von § 67d Abs. 3 StGB (i.d.F. von 1998) und deren Vollzug im Zeitraum vom 4.12.1999 bis 12.10.2010 stellte eine rechtswidrige Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 5 EMRK dar.

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