BGB § 123 Abs. 1; VVG § 22 § 161; AVB Vorläufige Deckung in der Lebensversicherung § 3 Abs. 2a; ALB § 9

Leitsatz

1. Hinweise in einer Ermittlungsakte auf das Verschweigen von Vorerkrankungen begründen die den Lauf der Anfechtungsfrist in Gang setzende Kenntnis des VR von den Anfechtungsgründen nicht.

2. Die erfolgreiche Arglistanfechtung des Hauptvertrags führt nicht dazu, dass die vorläufige Deckung wieder auflebt.

3. Die Karenzfrist von drei Jahren, innerhalb deren bei Selbsttötung kein Versicherungsschutz besteht, beginnt mit dem Vertragsschluss, in Fällen der Geltung des § 9 ALB a.F. mit der Zahlung des Einlösebeitrags, wenn dieser Zeitpunkt früher liegt.

(Leitsätze der Schriftleitung)

OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.4.2012 – 5 U 293/11

Sachverhalt

Der VN unterhielt bei der Bekl. eine Risikolebensversicherung, bei deren Beantragung er ein Tumorleiden verschwiegen hatte. Der Versicherungsschein wurde am 14.8.2006 ausgestellt. Als Versicherungsbeginn war der 1.8.2006 genannt. Zuvor hatte der VN vorläufige Deckung ab Antragseingang genossen. Die Bekl. zog aufgrund einer ihr erteilten Abbuchungsermächtigung den Einlösebeitrag am 14.8.2006 ein. Der VN beging am 10.8.2009 Selbstmord. Aus den Ermittlungsakten konnte die Bekl. im November 2009 Hinweise auf eine Tumorerkrankung entnehmen. Nach daraufhin von ihr veranlassten Recherchen, in deren Verlauf ihr im Dezember 2010 eine ärztliche Auskunft über die Vorerkrankung zugegangen war, focht sie ihre Annahmeerklärung am 23.2.2011 an.

2 Aus den Gründen:

" … Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen."

1. …

a. Die Bekl. konnte die Annahme des Versicherungsantrags des VN gem. § 123 Abs. 1 BGB, § 22 VVG anfechten, weil der VN sie bei der Antragstellung arglistig getäuscht hat …

(1) Die Anfechtungserklärung (§ 143 Abs. 1 BGB) ist mit dem Zugang an die Bezugsberechtigte Frau M G wirksam geworden. Grundsätzlich ist Anfechtungsgegner i.S.d. § 143 Abs. 1 BGB der Vertragspartner, im Fall seines Todes die Erben. In AVB kann aber anderes geregelt werden. Hier bezeichnet § 7 Abs. 8 ALB den Bezugsberechtigten als bevollmächtigt, eine Anfechtungserklärung entgegenzunehmen. Das ist zulässig und begründet eine wirksame Empfangsvollmacht … . Die Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag änderte daran nichts.

(2) Die Voraussetzungen des Anfechtungsgrunds der arglistigen Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) sind erfüllt.

(a) Eine arglistige Täuschung, die den Abschluss des Versicherungsvertrags bewirkt, setzt zunächst voraus, dass dem VR gefahrerhebliche Umstände verschwiegen werden. Das war der Fall. Der VN hat in dem am 26.6.2006 ausgefüllten Antragsformular zur Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden in den letzten 5 Jahren – mit exemplarischer Bezugnahme auf Tumorerkrankungen – die Antwort “ja’ angekreuzt und diese konkretisiert durch die erläuternde Angabe “grippale Infekte, Knieschmerzen → alles ausgeheilt’. Zu der Frage nach Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen in den letzten fünf Jahren beschränkte ersieh auf die Angabe “Grippe, Erkältungen’. Verschwiegen hat er eine Hodenkrebserkrankung, wegen deren zwei Jahre vor Antragstellung der linke Hoden entfernt und eine Chemotherapie durchgeführt wurden. Dass ein Tumorleiden für den Abschluss einer Lebensversicherung gefahrerheblich ist, wird von der Kl. zwar bestritten, ist aber offenkundig und nicht beweisbedürftig (§ 291 ZPO).

(b) Der Senat ist davon überzeugt, dass der VN mit seiner Täuschung bewusst und gewollt Einfluss auf die Willensentschließung der Bekl. nehmen wollte und damit arglistig agiert hat. (wird ausgeführt)

(c) Die Erklärung der Anfechtung erfolgte fristgerecht.

Gem. § 124 Abs. 1 BGB kann die Anfechtung einer nach § 123 BGB anfechtbaren Willenserklärung nur binnen Jahresfrist erfolgen. Sie beginnt gem. § 124 Abs. 2 BGB mit dem Entdecken der Täuschung. Entscheidend ist der Moment, in dem der Anfechtungsberechtigte von dem Irrtum und dem arglistigen Verhalten des anderen Teils erfährt und über die Täuschung bestimmte Behauptungen aufzustellen vermag. Weil § 124 Abs. 2 BGB ein Wissen verlangt, sind ein Verdacht, eine Vermutung oder eine fahrlässig fortbestehende Unkenntnis nicht genügend. Andererseits muss der Getäuschte nicht sämtliche Einzelheiten kennen oder die volle Gewissheit erlangt haben. Letztlich soll es auf den “Gesamteindruck’ ankommen …

Im Zusammenhang mit dem Abschluss von Versicherungsverträgen ist streitig, ob der VR behandelt werden muss, als wisse er um Täuschung, Irrtum und Arglist, wenn Verdachtsmomente aufgetreten sind, denen er nachzugehen versäumte. Das ist abzulehnen. Auch hier steht die fahrlässige Unkenntnis des VR, der Rückfragen trotz entsprechender Anhaltspunkte unterlässt, der positiven Kenntnis nicht gleich (OLG Hamm VersR 1982, 85 … ). In der neueren Rspr. ist anerkannt, dass das Anfechtungsrecht als solches unabhängig davon besteht, ob der VR Nachfrageobliegenheiten verletzt hat (siehe zuletzt BGH VersR 2011, 909 … ). Überträgt man diese Wertung auf die hier relevante Fragestellung … , können unterbliebene Nac...

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