AUB 2000 Nr. 5.2.1.

Leitsatz

1. Unfälle, die sich im Zusammenhang mit einer Beleidigungstat ereignen, sind nur dann vom Ausschlusstatbestand der Nr. 5.2.1 AUB 2000 (Vorsatztatausschluss) erfasst, wenn sich die der Straftat "Beleidigung" eigentümliche Gefahr verwirklicht. Das kann (so hier) zu verneinen sein, wenn der Beleidigungsvorsatz erst gefasst wird – oder sich das nicht ausschließen lässt –, nachdem der gefahrträchtige Vorgang begonnen wurde.

2. Bringt ein Unfallversicherter seinen Pkw durch schrittweises leichtes Abbremsen zum Stillstand, um einen über eine längere Wegstrecke dicht auffahrenden anderen Verkehrsteilnehmer zum Anhalten zu bewegen und um diesen dann auf die Gefährlichkeit des Auffahrens und auf die Einhaltung des Sicherheitsabstandes hinzuweisen, so ist dieses Verhalten nicht als verwerflich nach § 240 Abs. 2 StGB zu bewerten. Der Ausschluss nach Nr. 5.2.1 AUB 2000 (Vorsatztatausschluss) wegen der Vorsatztat "Nötigung" greift dann nicht ein.

OLG Hamm, Beschl. v. 18.4.2008 und 11.7.2008 – 20 U 219/07

Aus den Gründen

Aus den Gründen des Beschl. v. 18.4.2008: „… Die zulässige Berufung der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Klage ist – im Umfang des zuerkannten Anspruches – begründet. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf den Ausschlusstatbestand der Ziff. 5.1.2 AUB, wonach kein Versicherungsschutz für “Unfälle besteht, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie vorsätzlich eine Straftat ausführt oder auszuführen versucht’.

a) Nach der Rspr. des Senats (zfs 2007, 401 m.w.N.) ist der Ausschluss nicht in sittlichen Erwägungen begründet, sondern er dient der Ausschaltung des selbstverschuldeten besonderen Unfallrisikos, das mit der Ausführung einer strafbaren Handlung verbunden ist und durch die Erregung und Furcht vor Entdeckung noch gesteigert wird. Sinn und Zweck des Ausschlusses rechtfertigen nicht die Versagung des Versicherungsschutzes in Fällen eines rein zufälligen Zusammenhangs zwischen einer Straftat und einem Unfall; vielmehr greift der Ausschluss nur dann, wenn zwischen dem Unfall und der Straftat ein adäquat ursächlicher Zusammenhang besteht. Ereignet sich der Unfall nur bei Gelegenheit eines begangenen Delikts, bleibt der Versicherungsschutz bestehen. Er ist jedoch zu versagen, wenn ein der Straftat eigentümlicher Gefahrenbereich zum Unfall geführt hat. Die Adäquanz eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer strafbaren Handlung und einem Unfallereignis ist zu bejahen, wenn durch die Ausführung der Straftat eine erhöhte Gefahrenlage geschaffen worden ist, die generell geeignet ist, Unfälle der eingetretenen Art herbeizuführen. Zwischen Ausführung und Unfall muss ein unmittelbarer zeitlicher und adäquat ursächlicher Zusammenhang bestehen. An einer zurechenbaren Kausalität fehlt es, wenn der Unfall unabhängig von der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens allein auf das Verhalten eines Dritten zurückzuführen ist, dessen fehlerhaftes Handeln durch die Rechtsverletzung des Versicherten weder ausgelöst noch veranlasst oder mit veranlasst worden ist. Kausalität fehlt, wenn der Unfall lediglich zufällig zeitlich parallel zu einer Straftat geschieht. Entscheidend für die Beurteilung ist das Vorliegen einer typischen, vom Zweck des Risikoausschlusses mitumfassten Gefahrerhöhung durch die Straftat. Verwirklicht sich in dem Unfallereignis der für die Straftat eigentümliche Gefahrenbereich, greift der Ausschluss, der darauf abzielt, die Gemeinschaft der Versicherten nicht mit den selbstverschuldeten besonderen Unfallrisiken zu belasten, die Folge von Straftaten sind. Demzufolge können auch Unfälle vom Ausschluss umfasst sein, die sich nach der strafrechtlichen Beendigung der Straftat ereignen.

b) Vorliegend greift der Ausschluss werde unter dem Gesichtspunkt der Beleidigung (§ 185 StGB) noch der Nötigung (§ 240 StGB).

aa) Es ist schon fraglich, ob zwischen 18-jährigen Personen (wie hier der Versicherte und der Zeuge G) die Bezeichnungen “Idiot’ bzw. “Depp’ tatbestandlich als Beleidigung zu werten sind, insb. wenn man berücksichtigt, dass … die Worte nicht isoliert gefallen sind, sondern im Zusammenhang mit der Aufforderung, verkehrsgerecht zu fahren (“warum fährst Du so nah auf. Lass das bleiben’). Ebenso fraglich ist, ob unter diesen Umständen von einem Beleidigungsvorsatz beim Versicherten ausgegangen werden kann. Jedenfalls hat sich in dem Unfall kein für die Straftat (Beleidigung) eigentümliche Gefahrenbereich verwirklicht, worauf das LG zutreffend hingewiesen hat.

Etwas anderes könnte evtl. dann gelten, wenn der Versicherte bereits zum Zeitpunkt, als er sich entschloss, seinen Wagen anzuhalten (um auch den Zeugen G zu bewegen, seinen Pkw zu stoppen), beabsichtigte, den Zeugen G mit Beleidigungsvorsatz als “Idiot’ bzw. “Depp’ zu titulieren. Das trägt aber die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte selbst nicht vor (und wird sie auch im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Versicherten nicht beweisen können). Dagegen spricht auch der weitere Inhalt der – von der Beklagte...

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