Ergänzungstarif ES A I 5

Leitsatz

Verspricht der Versicherer Ersatz der Heilbehandlungskosten im Ausland während vorübergehender Reisen bis zu sechs Wochen Dauer, so kommt es nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer die Reise für einen längeren Zeitraum als sechs Wochen geplant hat.

BGH, Urt. v. 19.9.2007 – IV ZR 136/06

Sachverhalt

Die Erblasserin hatte bei der Beklagten eine Krankenversicherung genommen, der der Tarif ES zu Grunde lag, ein sog. Ergänzungstarif für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung. In den Tarifbedingungen heißt es in Abschnitt A I 5 u.a. wie folgt:

"Auslandsreisen"

Ambulante und stationäre Heilbehandlung im Ausland während vorübergehender Reisen bis zu sechs Wochen Dauer 100 %“.

Im selben Abschnitt heißt es nachfolgend an anderer Stelle weiter:

"Erfordert eine Erkrankung, für die Versicherungsschutz besteht, während des Auslandsaufenthalts über das Ende des Versicherungsschutzes hinaus Heilbehandlung, so besteht die Leistungspflicht für die Heilbehandlungskosten weiter, sofern die Rückreise wegen nachgewiesener Transportunfähigkeit nicht möglich ist. Die Kosten für die Heilbehandlung werden jedoch nur bis zum Tag der Transportfähigkeit, längstens jedoch bis zur Dauer von vier Wochen über das Ablaufdatum des Versicherungsschutzes hinaus (vorübergehende Reisen bis zu sechs Wochen Dauer) übernommen."

Die Erblasserin flog am 17.7.2002 in die USA. Das Rückflugticket war für den 30.10.2002 ausgestellt. Wenige Wochen nach ihrer Ankunft in den USA erkrankte sie und musste sich zunächst in ambulante, ab dem 6.9.2002 in stationäre ärztliche Behandlung begeben. Am 19.9.2002 verstarb sie in einem Krankenhaus in A. Die Beklagte lehnte Versicherungsschutz für Kosten der medizinischen Behandlung der Erblasserin in den USA ab.

Aus den Gründen

[9] “ … 1. Nach Abschnitt A I 5 des Ergänzungstarifs ES der Beklagten besteht Krankenversicherungsschutz auf Auslandsreisen für die ersten sechs Wochen immer und unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer die Reise für einen längeren Zeitraum geplant hat oder nicht. Das ergibt die Auslegung dieser Klausel.

[10] a) Dabei kommt es auf die Sichtweise des durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (BGHZ 123, 83, 85 und ständig). Ausgangspunkt der Auslegung ist neben dem Wortlaut und dem mit der Klausel verfolgten Zweck auch der erkennbare Sinnzusammenhang (Senat VersR 2002, 1503 unter 2a). Da es – auch – auf seine Interessen ankommt, muss der Versicherungsnehmer zudem nicht mit Lücken im Versicherungsschutz rechnen, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht werden.

[11] b) Über Inhalt und Umfang des Leistungsversprechens der Beklagten wird der Versicherungsnehmer durch den in Abschnitt A der Bedingungen des Tarifs ES enthaltenen Leistungskatalog unter der Überschrift “Leistungen des Versicherers’ unterrichtet. Will er sich über seinen Versicherungsschutz bei Reisen im Ausland informieren, kann er der Klausel unter I 5 entnehmen, dass die Beklagte ihn insoweit von Kosten für ambulante und stationäre Heilbehandlung während vorübergehender Reisen bis zu sechs Wochen Dauer in vollem Umfang freistellt. Dem Wortlaut dieser Klausel ist eine Einschränkung dergestalt, Versicherungsschutz während der ersten sechs Wochen einer insgesamt länger geplanten Auslandsreise sei (von vornherein) ausgeschlossen, jedenfalls nicht eindeutig zu entnehmen. Sie liegt für den Versicherungsnehmer auch nicht nahe, denn er kann nicht davon ausgehen, dass – will er sich u.a. Krankenversicherungsschutz auch für das Ausland verschaffen – dessen zeitliche Begrenzung von der Planung der Dauer seiner Reise abhängen könnte. Viel näher liegt es für ihn, dass der Versicherer die Dauer des versprochenen Versicherungsschutzes von vornherein für einen festen Zeitraum festlegen, also ausgehend vom Beginn einer Reise einen bestimmten Endzeitpunkt festlegen wird. Dieses Verständnis der Klausel lässt deren Wortlaut zu. Zwar weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass sich die Formulierung “bis zu sechs Wochen Dauer’ nach dem Sprachverständnis nur auf die vorangehenden Worte “während vorübergehender Reisen’ bezieht und nicht, wie das LG angenommen hat, auf den Versicherungsschutz als solchen. Aber auch unter Berücksichtigung dieses möglichen Zusammenhangs erschließt sich dem Versicherungsnehmer jedenfalls nicht, dass es für den zeitlichen Umfang des Versicherungsschutzes darauf ankommen soll, ob er von Anfang an eine Auslandsreise bis zu sechs Wochen geplant hat oder nicht. Angesichts des vorübergehenden Charakters jeder Reise ist ohnehin zweifelhaft, ob dieser näheren Kennzeichnung des Begriffs “Reisen’ in der Klausel überhaupt ein eigenständiger Sinngehalt zukommt.

[12] c) Unter Berücksichtigung seiner Interessen drängt sich dem Versicherungsnehmer bei Lektüre der vorstehend erwähnten Klauseln auch nicht auf, dass es für den zeitlichen Umfang des Versicherungsschutzes auf die Feststellung der beabsichtigten Reisedauer und damit auf Umstände ankommen soll, die sic...

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