II. Die Klage ist jedoch unbegründet …

2. Bei der Prüfung eines schlüssigen Anspruchs der Klagepartei mit hinreichenden Erfolgsaussichten ist es der Bekl. aus Rechtsgründen nicht verwehrt, sich auf andere Ablehnungsgründe, als die in der Deckungsablehnung vom 19.4.2021 angeführten zu berufen. Gleichzeitig ist die Kammer damit gehalten, den behaupteten Schadensersatzanspruch umfassend hinsichtlich seiner Erfolgsaussichten zu prüfen. Dies folgt aus der Auslegung der anwendbaren Versicherungsbedingungen aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen VN (zu diesem Auslegungsmaßstab zuletzt BGH, Urt. v. 9.11.2022 – IV ZR 62/22 juris Rn 11).

Zwar ist anerkannt, dass im Falle eines durchgeführten Stichentscheid-Verfahrens der VR in seiner Deckungsablehnung alle Gründe anführen muss, auf die er seine Ablehnung stützt: Nach durchgeführtem Stichentscheid kann er andere Gründe, die möglicherweise (auch) eine Deckungsablehnung tragen würden, nicht mehr nachschieben. Der VR ist also gehalten, sämtliche Ablehnungsgründe bereits in seiner Ablehnungsentscheidung anzuführen (OLG Hamm r+s 2012, 117; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 125981 Rn 19). Ansonsten stünde es dem VR unzulässigerweise offen, eine Klärung seiner Einstandspflicht auf eine spätere Deckungsklage zu verlagern.

Hierdurch würde der Stichentscheid jedoch seiner vorgesehenen Bedeutung beraubt, nämlich eine schnelle und eindeutige Klärung des umstrittenen Deckungsschutzes herbeizuführen (OLG Naumburg BeckRS 2016, 120854; BGH r+s 2003, 363: "rasche Klärung"; vgl. auch zu § 128 VVG in Umsetzung der Richtlinie 87/334/EWG vom 22.6.1987 und der nachfolgenden Richtlinie 2009/138/EG vom 25.11.2009 (Solvabilität-II-RL) a.a.O. in Erwägungsgrund 83 Satz 1 zu Art. 203 f. Solvabilität-II-RL: "Streitigkeiten zwischen Versicherten und Versicherungsunternehmen in Bezug auf die Rechtsschutzversicherung sollten so fair und rasch wie möglich beigelegt werden"). Diese Fokussierung bzw. Kanalisierung der Deckungsprüfung auf vom VR bereits erhobene Einwände lässt sich dem Zusammenspiel der einschlägigen Regelungen des § 17 V ARB 2006 und § 128 VVG unschwer erkennbar entnehmen.

Macht der VN allerdings – wie im Streitfall (…) – von der Möglichkeit eines Stichentscheids gar keinen Gebrauch, bringt er damit zum Ausdruck, dass eine rasche Klärung des Deckungsanspruchs für ihn nicht oberste Priorität hat. Gleichzeitig verlässt er hierdurch bewusst den "Schutzschirm" des Stichentscheid-Verfahrens. Dann wiederum besteht kein Anlass, dem VN gleichwohl eine ihm vorteilhafte Präklusionswirkung gleichsam aufzudrängen, obwohl er sich gegen ein Stichentscheid-Verfahren entschieden hat.

Vielmehr ist es dann angezeigt, die Erfolgsaussichten des geltend gemachten Rechtsschutzfalls umfassend zu prüfen, um zu einer "objektiv richtigen" Würdigung zu gelangen. Jedenfalls für die Prüfung nachgeschobener Gründe zur Rechtfertigung einer mangelnden Erfolgsaussicht wird der VN hierdurch auch nicht unbillig benachteiligt, da der Prüfungspunkt "hinreichende Erfolgsaussicht" nicht verlassen wird. So entspricht es auch der BGH-Rechtsprechung, dass sich einer Leistungsablehnung im Allgemeinen nicht entnehmen lässt, dass der VR den geltend gemachten Anspruch allein aus den dort angegebenen Gründen für nicht gegeben hält (BGHZ 165, 167-172 juris Rn 10).

Die Situation ist dann keine andere, als in jedem anderen Rechtsstreit, wo es einer Partei grundsätzlich unbenommen bleibt, ihren vorgerichtlichen Tatsachenvortrag – beispielsweise nach Erholung weiterführender Auskünfte – zu ergänzen oder sogar umzustellen. Dass es sich im Einzelfall bei Abgabe eines rechtsverbindlichen Leistungsanerkenntnisses verbieten kann, von diesem wieder abzurücken (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 16.3.2021 – VI ZR 140/20 –, juris Rn 14), steht hierzu schon deshalb nicht in Widerspruch, da im Streitfall der VR seine (ablehnende) Rechtserklärung durch das Nachschieben weiterer Gründe im Ergebnis aufrecht erhält.

Dass nach der Rspr des BGH im Rahmen der Anfechtung einer Willenserklärung neue Anfechtungsgründe nur innerhalb der Anfechtungsfrist nachgeschoben werden können (BGH, Urt. v. 11.10.1965 – II ZR 45/63 –, juris), findet wiederum seine Rechtfertigung im berechtigten Vertrauen des Vertragspartners auf den Bestand der Erklärungen seines Gegenüber, der nur in dem formalisierten Anfechtungsverfahren infrage gestellt werden kann. Nimmt der Vertragspartner (hier: VN) ein angebotenes formalisiertes Verfahren in Gestalt eines Stichentscheides jedoch nicht in Anspruch, ist ein vergleichbarer Vertrauensschutz dahingehend, dass die zur Leistungsablehnung vorgebrachten Gründe abschließend sind, nicht berechtigt. Schließlich fügt sich in diese Bewertung, die maßgeblich auf das Vorhandensein eines formalisierten Rahmens abstellt ein, dass das Gericht etwa auch im Falle einer fehlenden Bindungswirkung eines Stichentscheids den Deckungsanspruch des VN umfassend zu prüfen hat (vgl. Harbauer/Schmitt ARB 2010 § 3a Rn 54).

Soweit das OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 125981 Rn 19...

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