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Die zulässige Berufung ist begründet. Das VG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da der Bescheid der Bekl. v. 12.7.2018 rechtswidrig ist und den Kl. in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Die Bekl. durfte aus der Nichtbeibringung des von ihr geforderten Fahreignungsgutachtens nicht gemäß § 11 Abs. 8 S. 1 FeV v. 13.12.2010 (BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung v. 3.5.2018 (BGBl I S. 566), auf eine fehlende Fahreignung des Kl. schließen, weil sie das ihr durch § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 FeV eingeräumte Ermessen bei der Anordnung der Begutachtung nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. Ob die Beibringungsanordnung verhältnismäßig war, kann dahinstehen.

Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat (§ 2 Abs. 4 S. 1 StVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.3.2003 [BGBl I S. 310, 919], im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz v. 30.6.2017 [BGBl I S. 2162], § 11 Abs. 1 S. 1 bis 3 FeV).

Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 3 Abs. 1 S. 1 StVG§ 46 Abs. 1 S. 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens anordnen (§ 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 bis 6 FeV). Unter anderem kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen (§ 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 S. 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2016 – 3 C20.15 – [zfs 2017, 474 =] BVerwGE 156, 293 Rn 19).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 FeV lagen vor. Die vom Kl. begangene gefährliche Körperverletzung und die dreifache sexuelle Nötigung waren von einem hohen Aggressionspotenzial gekennzeichnet (vgl. OVG NW, Beschl. v. 11.4.2017 – 16 E 132/16 – juris Rn 7; NdsOVG, Urt. v. 8.7.2014 – 12 LC 224/13 – NJW 2014, 3176 = juris Rn 51), wodurch der Zusammenhang mit der Kraftfahreignung hergestellt wird. Letzterer setzt weder voraus, dass die Anlasstaten einen Verstoß gegen verkehrsrechtliche Vorschriften darstellen, noch, dass sie im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen oder im Straßenverkehr begangen wurden oder der Betroffene bereits zuvor im Straßenverkehr aufgefallen ist (vgl. BayVGH, Beschl. v. 17.5.2021 – 11 ZB 20.2572 – juris Rn 15; Beschl. v. 24.11.2014 – 11 CS 14.2194 – juris Rn 12; Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 28.9.2022, § 11 FeV Rn 110). Als Regelbeispiel, in dem ein Zusammenhang mit der Kraftfahreignung anzunehmen ist, sind in § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 FeV Straftaten, die Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bieten, genannt. Dem liegt die Einschätzung des Gesetz- und Verordnungsgebers zugrunde, dass allgemeinrechtliche Straftaten in der Regel durch generalisierte, gewohnheitsmäßige Fehleinstellungen und Fehlreaktionen bedingt sind, welche auch eine adäquate Bewertung der Normen und Gesetze erschweren, die den Straßenverkehr regeln (Begründung zu Nr. 3.16 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [Vkbl S. 110] in der Fassung vom 17.2.2021 [Vkbl S. 198], in Kraft getreten am 1.6.2022, S. 84). Wer aufgrund des rücksichtslosen Durchsetzens eigener Interessen, aufgrund seines großen Aggressionspotenzials oder seiner nicht beherrschten Affekte und unkontrollierten Impulse in schwerwiegender Weise die Rechte anderer verletzt, lässt nicht erwarten, dass er im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer – zumindest in den sehr häufig auftretenden Konfliktsituationen – respektieren wird. Solange ein solches Fehlverhalten besteht, ist auch mit sicherheitswidrigen Auffälligkeiten im Straßenverkehr zu rechnen (Begründung zu Nr. 3.16 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, a.a.O., S. 85). Der Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten außerhalb und innerhalb des Straßenverkehrs ist empirisch erwiesen (vgl. VGH BW, Urt. v. 27.7.2016 – 10 S77/15 – VRS 130, 256 = juris Rn 30 m.w.N.; Wagner/Strohbeck-Kuehner in Wagner/Müller/Koehl/Rebler, Fahreignungszweifel bei Verkehrsdelinquenz, Aggress...

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