AUB 2008 Ziff. 2.5
Leitsatz
Die nach Ziffer 2.5 AUB 2008 für den Anspruch auf Tagegeld in der Unfallversicherung maßgebliche ärztliche Behandlung endet nicht stets mit der letzten Vorstellung beim Arzt. Sie umfasst vielmehr regelmäßig die Dauer der von dem Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen.
BGH, Urt. v. 4.11.2020 – IV ZR 19/19
Sachverhalt
Der Kl. nimmt den beklagten VR, bei dem er seit 2011 eine Unfallversicherung unterhält, auf Zahlung weiteren Tagegeldes in Anspruch. In den einbezogenen AUB 2008 heißt es:
"2.5 Tagegeld"
2.5.1 Voraussetzungen für die Leistung:
Die versicherte Person ist unfallbedingt
▪ |
in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt und |
▪ |
in ärztlicher Behandlung. |
2.5.2 Höhe und Dauer der Leistung:
…
Das Tagegeld wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung, längstens für ein Jahr, vom Unfalltag an gerechnet, gezahlt.
…
7. Was ist nach einem Unfall zu beachten (Obliegenheiten)?
…
7.1 Nach einem Unfall, der voraussichtlich eine Leistungspflicht herbeiführt, müssen Sie oder die versicherte Person unverzüglich einen Arzt hinzuziehen, seine Anordnungen befolgen und uns unterrichten.
…
8. Welche Folgen hat die Nichtbeachtung von Obliegenheiten?
Wird eine Obliegenheit nach Ziffer 7 vorsätzlich verletzt, verlieren Sie Ihren Versicherungsschutz. Bei grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen …“
Der Kl. erlitt am 4.4.2016 einen bedingungsgemäßen Unfall, bei dem er sich einen Finger verletzte. Ab dem 11.4.2016 war er bei einem Facharzt in Behandlung, dessen Praxis er zuletzt am 16.6.2016 besuchte. Dabei wurde ihm wegen eines andauernden Bewegungsdefizits "10 x Krankengymnastik" verschrieben.
Nachdem der Facharzt von der Bekl. beauftragt worden war, eine gutachterliche Stellungnahme zu fertigen, bestellte er den Kl. in die Praxis ein und untersuchte ihn am 21.9.2016. In der Stellungnahme vom 28.9.2016 antwortete er auf die Frage "Ist die Behandlung abgeschlossen, ggf. wann oder wann voraussichtlich?": "Die Behandlung wurde am 16.6.2016 abgeschlossen." Am 1.2.2017 suchte der Kl. den Facharzt erneut auf, der wegen fortbestehender Bewegungseinschränkungen Physiotherapie verordnete. LG und OLG haben die Klage auf Zahlung von Tagegeld v. 17.6.2016 bis 31.1.2017 abgewiesen.
2 Aus den Gründen:
"… II. Anders als das BG meint, endet die nach Ziff. 2.5 AUB 2008 für den Anspruch auf Tagegeld maßgebliche ärztliche Behandlung nicht stets mit der letzten Vorstellung beim Arzt. Sie umfasst vielmehr regelmäßig die Dauer der von dem Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen. Das ergibt die Auslegung der Klausel."
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. (…)
2. a) Bei der Beurteilung der Frage, ob der Anspruch auf Tagegeld mit dem letzten Arztbesuch endet oder ob er die Dauer einer vom Arzt verordneten Medikamenteneinnahme oder Therapie umfasst, wird sich der VN zunächst am Wortlaut von Ziff. 2.5 AUB 2008 orientieren. Er wird erkennen, dass die Klausel nicht auf den (letzten) Arztbesuch abstellt, sondern auf die Dauer der ärztlichen Behandlung (Ziff. 2.5.2 AUB 2008). Das wird er dahingehend verstehen, dass es zwar in erster Linie auf das Handeln des Arztes ankommt, dass aber im Regelfall auch etwaige von dem Arzt angeordnete Behandlungsmaßnahmen, wie die Einnahme eines verschriebenen Medikaments oder die Durchführung einer verordneten Therapie, einzubeziehen sind. Ein durchschnittlicher VN wird die Dauer solcher von der ärztlichen Fürsorge und Verantwortung umfasster Behandlungsmaßnahmen regelmäßig als Teil der ärztlichen Behandlung ansehen, und zwar unabhängig davon ob sie möglicherweise nach dem letzten Arztbesuch erfolgen, ob Dritte bei ihrer Durchführung tätig werden und inwieweit der Arzt Maßnahmen selbst spezifiziert oder ihre konkrete Ausgestaltung einem Dritten überlassen hat (wie im Streitfall durch die Verordnung von “10 x Krankengymnastik'). Dagegen wird es der VN als von Zufällen des Einzelfalls abhängig und deshalb unerheblich ansehen, ob nach der Einnahme des verschriebenen Medikaments oder nach Durchführung der verordneten Therapie ein weiterer Arztbesuch zur Erfolgskontrolle stattfindet, bei dem der Arzt den Versicherten ausdrücklich aus seiner Fürsorge entlässt, oder ob die verordnete Behandlung ohne einen solchen Kontrollbesuch endet.
b) Der für ihn erkennbare Zweck des Tagegeldes stützt den VN bei diesem Verständnis. Nach Ziff. 2.5.1 AUB 2008 ist Tagegeld zu zahlen, wenn die versicherte Person unfallbedingt in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt und in ärztlicher Behandlung ist. Dem wird der VN entnehmen, dass das Tagegeld unfallbedingt erlittene Einkommensverluste ausgleichen soll (vgl. Grimm, Unfallversicherung 5. Aufl. AUB 2010 Ziffer 2 Rn 58; Mangen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 47 Rn 204). Sind nach dem ärztl...