StVG § 3 Abs. 1; FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1; Abs. 6, Abs. 8 § 46 Abs. 1, Abs. 3

Leitsatz

1. Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens muss aus Gründen der Verhältnismäßigkeit stets anlassbezogen sein. Deshalb darf dem Betroffenen nicht mehr an Untersuchungen abverlangt werden als erforderlich. Gegenüber einer ärztlichen Untersuchung stellt eine medizinisch-psychologische Begutachtung den größeren Eingriff dar, weil sie über rein medizinische Feststellungen hinausgeht und eine Offenlegung der engeren persönlichen Lebenssphäre erfordert, die dem strengen Schutz von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unterliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 zfs 1993, 285 = BVerfGE 89, 69 = juris Rn 55).

2. Daher ist zunächst nur eine ärztliche Untersuchung anzuordnen, wenn nicht ausnahmsweise von vornherein davon auszugehen ist, dass nur eine medizinisch-psychologische Untersuchung zur Klärung der Eignungszweifel geeignet und erforderlich ist. Dieses von den Fahrerlaubnisbehörden grundsätzlich zu beachtende Stufenverhältnis ergibt sich auch aus § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV. Für ein gestuftes Vorgehen spricht auch die Vorbemerkung 2 der Anlage 4 zur FeV.

3. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Beibringungsaufforderung – gerade auch mit Blick auf die nicht selbstständig rechtlich anfechtbare Anordnung – so zu begründen, dass dem Betroffenen eine fundierte Entscheidung darüber ermöglicht wird, ob er dieser Aufforderung nachkommt (BVerwG, Urt. v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 zfs 2017, 474 = BVerwGE 156, 293 Rn 37).

(Leitsätze der Schriftleitung)

BayVGH, Beschl. v. 25.8.2020 – 11 ZB 20.1137

Sachverhalt

Der Kl. wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins.

Mit Schreiben v. 18.9.2017 forderte die Bekl. den Kl. zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens auf. Nachdem der Kl. hiergegen durch seinen Prozessbevollmächtigten Einwendungen erhoben hatte, forderte die Bekl. den Kl. mit Schreiben v. 14.11.2017, geändert durch Schreiben vom 18.12.2017, zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens auf. Aufgrund des Betäubungsmittelerwerbs, der Dauermedikation mit Cannabis und der Grunderkrankung bestünden Zweifel an seiner Fahreignung, die zunächst im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung in Bezug auf sein Konsumverhalten von Betäubungsmitteln mit Überprüfung der Leistungsfähigkeit zu klären seien.

Mit Bescheid v. 26.6.2018 entzog die Bekl. dem Kl. die Fahrerlaubnis (Klassen AM, B und L) und verpflichtete ihn zur Abgabe des Führerscheins. Er habe das geforderte Gutachten nicht beigebracht und sich dadurch als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.

Nach Zurückweisung des gegen den Bescheid eingelegten Widerspruchs ließ der Kl. Klage erheben, die das VG Bayreuth mit Gerichtsbescheid v. 1.4.2020 – B 1 K 19.152 – abgewiesen hat. Die Bekl. habe zu Recht die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens angeordnet.

2 Aus den Gründen:

"… II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg."

1.(…)

b) Zu Unrecht beanstandet der Kl., dass die Bekl. ihn nicht sogleich zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert, sondern von ihm zunächst ein ärztliches Gutachten verlangt hat.

Abgesehen davon, dass der Kl. selbst mit Schreiben seines Bevollmächtigten (…) Einwendungen gegen die ursprünglich ergangene Aufforderung der Bekl. v. 18.9.2017 erhoben hatte, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, muss die Anordnung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit stets anlassbezogen sein. Deshalb darf dem Betr. nicht mehr an Untersuchungen abverlangt werden als erforderlich (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn 24 m.w.N.). Gegenüber einer ärztlichen Untersuchung stellt eine medizinisch-psychologische Begutachtung den größeren Eingriff dar, weil sie über rein medizinische Feststellungen hinausgeht und eine Offenlegung der engeren persönlichen Lebenssphäre erfordert, die dem strengen Schutz von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unterliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 [zfs 1993, 285 =] BVerfGE 89, 69 = juris Rn 55).

Daher ist zunächst nur eine ärztliche Untersuchung anzuordnen, wenn nicht ausnahmsweise von vornherein davon auszugehen ist, dass nur eine medizinisch-psychologische Untersuchung zur Klärung der Eignungszweifel geeignet und erforderlich ist (BVerfG, Beschl. v. 24.6.1993 a.a.O. Rn 70; Haus in Haus/Zwerger, Das verkehrsrechtliche Mandat, Bd. 3, 3. Aufl. 2017, § 15 Rn 12). Dieses von den Fahrerlaubnisbehörden grundsätzlich zu beachtende Stufenverhältnis ergibt sich auch aus § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV, wonach die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden kann, wenn dies nach Würdigung des ärztlichen Gutachtens (§ 11 Abs. 2 FeV) oder des Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (§ 11 Abs. 4 FeV) zusätzlich erforderlich ist. Für ein gestuftes Vorgehen spricht auch die Vo...

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