Praktikabel ist das alles nicht,[19] zumal es die endgültige Auseinandersetzung zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigtem über längere Zeit verhindert.[20] Durch die Regelung, die anstelle des Noterbrechts trat, das der BGB-Gesetzgeber erwogen, aber abgelehnt hat[21], soll der Pflichtteilsberechtigte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers den ihm gebührenden Anteil vom Nachlass erhalten; er wird gestellt, "als sei er zur Hälfte seines gesetzlichen Erbteils Erbe geworden".[22] Bei der Ermittlung des Pflichtteils sei darauf Wert zu legen, "dass der Pflichtteilsberechtigte durch den Pflichtteil materiell in Geld so viel erhalten soll, wie er erhalten haben würde, wenn er zu dem dem Pflichtteile entsprechenden Bruchteile Erbe wäre".[23] Als Erbe hätte er eine aufschiebend bedingte Verbindlichkeit "zunächst nicht zu erfüllen".[24]

Diese Regelung ist schon für sich zweifelhaft.[25] Zum einen kann der Pflichtteil, bei dessen Berechnung Vermächtnisse nicht berücksichtigt werden (s. o.), höher liegen als der halbe gesetzliche Erbteil.[26] Zum anderen nimmt der Pflichtteilsberechtigte anders als der Noterbe an nachträglichen Wertverlusten des Nachlasses nicht teil.[27] Heute können Kursstürze bei Wertpapieren dazu führen, dass dem Pflichtteilsberechtigten am Ende deutlich mehr verbleibt als dem Erben,[28] der ohne Erbschein keine Verfügungen treffen kann und beim Streit mit einem anderen Erbprätendenten hilflos zusehen muss, wie der Wert des Aktienpaketes dahinschmilzt. Andererseits bleibt der Pflichtteilsberechtigte von Kurssteigerungen nach dem Erbfall dauerhaft ausgeschlossen, ohne dass er die Möglichkeit hätte, das Geschehen zu beeinflussen.[29]

[19] So zu Recht Meincke, Nachlassbewertung, 229. Deshalb hat sich der Gesetzgeber bei § 1376 gegen nachträgliche Korrekturen ausgesprochen, Schlebusch, Diss. Münster, 1966, S. 110 ff; ebenso Bachmann, Diss. Mainz, 1970, S. 157.
[20] Zweifel dazu bei Staudinger/Haas (2006), § 2313 Rn 1: "Nachteil des Schwebezustandes".
[21] Braga, AcP 153 (1954), 162 f; Näheres bei Schlüter, Erbrecht, 16. Aufl. 2007, Rn 946.
[22] BGHZ 7, 135, 138.
[23] Motive, Band 5, 1896, S. 407; wörtlich zitiert in BGHZ 3, 394, 401; Lange, Kap. 20, Rn 93: "Erbersatzfunktion" des Pflichtteils.
[24] Motive, aaO.
[25] Braga, AcP 153 (1954), 158; Meincke, Nachlassbewertung, 229; Riedel in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2010, § 5 Rn 6 mwN.
[26] Michalski, BGB-Erbrecht, 4. Aufl. 2010, Rn 480.
[27] BGHZ 7, 135, 138; BGHZ 123, 76, 80; anschaulich Lange, Kap. 20, Rn 88; Ebenroth, Erbrecht, Rn 950 mwN will "in Ausnahmefällen" eine Korrektur nach § 242 BGB zulassen.
[28] Zu dieser Problematik bereits Braga, aaO; auch Sudhoff, NJW 1961, 802. Dass der Verkauf eines Aktienpakets wiederum den Kurs verändern kann, betont Meincke in: Festschrift für Wiedemann, 2002, 108.
[29] Dazu Joachim in: Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, 2. Aufl. 2010, Kap. 4, Rn 61; Muscheler, Rn 4.125.

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