Internationales Privatrecht I, Europäisches Kollisionsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Art. 1 – 24)

Franz-Jürgen Säcker/Roland Rixecker/Hartmut Oetker (Hrsg.)

Verlag C.H.Beck, 6. Aufl., München 2015, 2.795 Seiten, 259 EUR

ISBN: 978-3-406-61470-5

Nirgends lässt sich die Entwicklung des IPR so eindrucksvoll nachvollziehen wie bei einem Vergleich der einzelnen Auflagen des Münchener Kommentars. Die 1. Aufl. 1980 zeigte noch die Mühen des damaligen Juristen bei der Handhabung des lückenhaft gehaltenen EGBGB aus dem Jahre 1886. Die 2. Auflage konnte das frisch novellierte und moderne IPR der Reform von 1986 präsentieren. Die Folgeauflagen zeigten seine Komplettierung durch den Gesetzgeber und die fortschreitende Diversifizierung durch die Literatur. So musste irgendwann die Materie auf zwei Bände verteilt werden, sodass internationales Erb- und Wirtschaftsrecht einen zweiten Band in Anspruch nahmen. In der 5. Auflage wurden bereits weite Teile des EGBGB durch eingestreute EG-Verordnungen ersetzt. Das machte deutlich, wie das IPR sukzessive aus dem EGBGB in europäische Verordnungen übergeleitet wird.

Die 6. Auflage trägt der fortschreitenden Europäisierung des IPR Rechnung, indem das bisherige Konzept umgekehrt wird: Die Europäischen Regeln (Rom I, II, III-VO, EU-UnterhaltsVO mit Haager Unterhaltsprotokoll, KSÜ, EU-ErbVO etc.) werden nun vorrangig der Reihe nach durchkommentiert und die auf ihre sukzessive Ablösung wartenden verbleibenden Regeln des "Rest-EGBGB" hintenan gestellt.

Zugleich ergibt sich in dieser Auflage auch ein Generationenwechsel bei einigen der Kommentatoren, die teilweise schon bei der 1. Auflage 1980 mitgewirkt hatten. Das gilt vornehmlich für den Redakteur des Bandes. Hier überreichte Prof. Dr. Hans Jürgen Sonnenberger (München) den Stafettenstab an Prof. Dr. Jan van Hein (Freiburg). Damit verbunden war die Neukommentierung des umfangreichen "Allgemeinen Teils", also der Artt. 3–6 EGBGB und aller weiteren, in diesen Vorschriften nicht geregelten Fragen, in einer vorgeschalteten "Einleitung in das IPR". Diese ist auch in dieser Neuauflage nun hinsichtlich Vollständigkeit, Aktualität, Wissenschaftlichkeit, inhaltlicher Kohärenz und Übersichtlichkeit wieder einmal einzigartig in der deutschen Literatur.

Das internationale Eherecht (einschließlich der Regeln zur eingetragenen Lebenspartnerschaft) bleibt weiterhin in den bewährten Händen von Prof. Dr. Michael Coester (München) und von Prof. Dr. Kurt Siehr (Zürich). Das internationale Kindschafts- und Adoptionsrecht (Art. 1923 EGBGB) hat nun Prof. Tobias Helms (Marburg) übernommen. Dieser Autor hat sich schon seit einiger Zeit im internationalen Kindschaftsrecht engagiert und nun auch in seiner Kommentierung eine kenntnisreiche, informative und aktuelle Übersicht vorgelegt, die in besonderer Weise auf die letzten Entwicklungen eingeht und damit ein engagiertes, aktuelles und lebhaftes Bild der Rechtslage zeigt (vgl. z. B. die durch den Leihmutterschaftstourismus aufgeworfenen Fragen und die Kritik an der Alternativanknüpfung in Art. 19 EGBGB). Allerdings musste der Rezensent nach einer Kommentierung der einschlägigen Regeln des KSÜ erst einige Zeit suchen. Insbesondere die Regeln zum Statut der Vormundschaft sind für den Erbrechtler bei Beteiligung von im Ausland lebenden Minderjährigen an der Erbengemeinschaft praktisch von besonderer Bedeutung. Wünschenswert wäre, dass der Autor die einschlägigen Kollisionsregeln der Art. 15–17 KSÜ in der künftigen Auflage ausführlicher darstellt.

Die Kommentierung des Erbrechts hat Prof. Dr. Anatol Dutta (Regensburg) übernommen. Dabei trug er – da die Europäische Erbrechtsverordnung erst ab dem August 2015 anwendbar ist – die doppelte Last, sowohl die neue Verordnung als auch das auf aktuelle Erbfälle noch geltende Recht der Art. 25 f EGBGB darzustellen. Der Leser allein des hier vorliegenden Bandes wird dies nicht merken, denn die Kommentierung zu den "alten" Regeln ist in den zweiten Band zum EGBGB ausgelagert worden. Die Kommentierung der Art. 25 f EGBGB wird uns aber noch lange bei der Behandlung von "Altfällen" begleiten.

Eine Großkommentierung zu einem völlig neuartigen Regelwerk zu schreiben, das in der Praxis noch nicht erprobt worden ist, stellt immer eine besondere Herausforderung dar. Dutta hat sich dieser Herausforderung gestellt und auch solche praktischen Anwendungsprobleme aufgezeigt und erläutert, die bislang noch nicht zu den Spielplätzen der Literatur gehörten. So sei hier auf das Problem hingewiesen, dass die rückwirkende Anwendung der Kollisionsnormen der EUErbVO und die alternative Wirksamkeit nach den Kollisionsnormen des mitgliedstaatlichen IPR in Art. 83 Abs. 3 EUErbVO insbesondere dann zu Widersprüchen führen kann, wenn eine vor dem Anwendungsstichtag errichtete Verfügung nach den Regeln der EUErbVO nach den neuen Regeln Bindungswirkung entfaltet und damit eine noch vor dem Anwendungsstichtag errichtete (aus damaliger Perspektive wirksame) widersprechende Verfügung quasi e...

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