Vor- und Nachteile einer Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO

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Durch die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nach der EuErbVO sind die Kriterien zur Ermittlung desselben nach wie vor unklar. Welche Bedeutung die Dauer und Beständigkeit eines Aufenthalts als Kriterium hat, wird am Beispiel des Mehrrechtsstaats Spaniens ebenso dargelegt, wie der Frage, ob der Todeszeitpunkt wirklich maßgebend sein kann. Des Weiteren wird der in der Praxis übliche allgemeine Rat zur Rechtswahl kritisch hinterfragt und aufgezeigt, wann dieser als Fehlberatung eingestuft werden könnte.

A. Einleitung

Die seit 17. August 2015 geltende EuErbVO hat das Internationale Erbrecht für fast alle Mitgliedstaaten[1] harmonisiert. Die Staatsangehörigkeit muss seither dem gewöhnlichen Aufenthalt aus Art. 21 EuErbVO weichen. Das hat für viel Kritik gesorgt, denn für die Praxis verkompliziert es die Anwendung unnötig.[2] Wenig überraschend ist daher auch, dass die Erwägungsgründe für diesen Paradigmenwechsel eher politische denn rechtssimplifizierende sind: Aufgrund der wachsenden Mobilität der EU-Bürger soll eine "wirkliche Verbindung zwischen Nachlass und Mitgliedstaat" bestehen.[3] Dass sich die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts in "einigen Fällen" als sehr "komplex erweisen" kann,[4] ist dem Verordnungsgeber dabei bewusst gewesen. Eine Legaldefinition wurde jedoch nicht vorgenom- men. Dies führt in der Praxis dazu, dass oftmals wegen eines schwierig zu bestimmenden gewöhnlichen Aufenthalts ein scheinbar zufälliges, nicht immer gewolltes Erbrecht anwendbar ist. Abhilfe kann zwar eine Rechtswahl gem. Art. 22 EuErbVO schaffen. Doch mit dieser ist nur die Wahl des Heimatrechts, also des der eigenen Staatsangehörigkeit zugeordneten Rechts möglich. Und dieses Recht ist nicht immer jenes, welches den Interessen des Erblassers am ehesten gerecht wird. Sehr deutlich wird dies beim Blick auf Mehrrechtsstaaten.

Der einzige Mehrrechtsstaat im Geltungsbereich der EuErbVO ist Spanien. Dass hier neben dem vornehmlich im Süden geltenden gemeinspanischen Recht (derecho común) noch weitere (Erb-)Rechte, die sog. derechos forales bestehen, ist indes vielen in Spanien lebenden Deutschen nicht bewusst, obwohl die dortigen sachrechtlichen Unterschiede enorm sein können.

Abgesehen vom Pflichtteilsrecht und den zulässigen Testamentsformen gibt es weitere Unterschiede zwischen dem deutschen und den spanischen Erbrechten; unter anderem hinsichtlich der Erbquoten – sowohl der gesetzlichen Erbfolge als auch des Pflichtteilsrechts (soweit ein solches existiert) –, sowie hinsichtlich der Rechte des überlebenden Ehegatten bzw. Lebenspartners, die in Spanien meist als bloße Nießbrauchsrechte verschieden ausgestaltet sind.[5]

All das macht den spanisch-deutschen Erbrechtsfall spannend sowie gleichsam herausfordernd.

[1] Ausgenommen sind Großbritannien, Irland und Dänemark.
[2] Vgl. nur Dutta, in: Säcker/Rixecker, MüKo BGB, Art. 21 EuErbVO, Rn 2; Döbereiner, MittBayNot 2013, 358, 362; Dörner, ZEV 2010, 221, 226.
[3] EuErbVO, EwG 23.
[4] EuErbVO, EwG 24.
[5] Zu den einzelnen Foralrechten siehe auch Oppermann, Die Unteranknüpfung nach der EuErbVO im Mehrrechtsstaat Spanien, 57 ff.

B. Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts – Definition

Grundsätzlich, das heißt, wenn keine Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO getroffen wurde, wird das anwendbare Recht gem. Art. 21 EuErbVO mit Hilfe des gewöhnlichen Aufenthalts zum Todeszeitpunkt ermittelt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist keineswegs neu. Und doch kann auf die bekannten Definitionen, beispielsweise aus dem Familienrecht[6] (etwa § 343 Abs. 1 FamFG)[7] nur gedanklich zurückgegriffen werden, ist doch wegen des sowohl erbrechtlichen als auch international-privatrechtlichen Kontextes eine autonome Auslegung des gewöhnlichen Aufenthalts im alleinigen Sinne der EuErbVO notwendig.[8]

Die Intention des Gesetzgebers, auf die tatsächlichen Begebenheiten des Erblassers möglichst flexibel zu reagieren, erschwert zudem eine abschließende Definition. Denn die unterschiedlichsten Lebensweisen der Erblasser bedingen eine facettenreiche Einzelfallbetrachtung, die dennoch – iSd Rechtssicherheit – einigermaßen vorhersehbar sein muss.

Um den Weg der Ermittlung des anwendbaren Rechts über den gewöhnlichen Aufenthalt als Anknüpfungspunkt nicht zusätzlich zu verwässern, ist eine Orientierung an rein objektiven Kriterien geboten.[9] Die Vorstellung des Erblassers, welchen gewöhnlichen Aufenthalt er gerade innehat, ist somit irrelevant.[10] Das bedeutet indes nicht, dass subjektive Elemente gar keinen Einfluss auf den gewöhnlichen Aufenthalt haben dürfen. Sehr wohl ist unabdinglich, dass jeder Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts auch vom Willen des Erblassers getragen ist.[11] Anderenfalls liefe man beispielsweise bereits Gefahr, dass der gewöhnliche Aufenthalt geschäftsunfähig gewordener Demenzkranker ohne deren Willen geändert und somit die Anwendung eines anderen Rechts von "anderen Tatsachen schaffenden" Dritten erwirkt würde. Das wäre bereits wegen des Höchstpersönlichkeitsgebots letztwilliger Verfügungen (§§ 2064 f...

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