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Der Erb- und/oder Pflichtteilsverzicht kann – mitunter übersehene – Auswirkungen auf den nachehelichen Unterhalt, auf die Verteidigungsrechte und im Höferecht haben. Der nachfolgende Beitrag stellt den Stand der Diskussion dar, bezieht hierzu Stellung und entwickelt Gestaltungsvorschläge.

I. Der Erbverzicht und seine unmittelbaren Wirkungen

Der Erbverzicht iSd §§ 23462352 BGB, also der zu Lebzeiten des Erblassers mit diesem vertraglich vereinbarte Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (§ 2346 Abs. 1 S. 1 BGB, Erbverzicht ieS), auf den Pflichtteil (§ 2346 Abs. 2 BGB, Pflichtteilsverzicht) oder auf testamentarische oder erbvertragliche Zuwendungen (§ 2352 BGB, Zuwendungsverzicht) ist ein vertragliches, erbrechtliches abstraktes[1] Verfügungsgeschäft[2] zwischen dem Erblasser und einem Erb- oder Pflichtteilsberechtigten bzw. einem eingesetzten Erben oder Vermächtnisnehmer unter Lebenden auf den Todesfall.[3] Gegenstand des Verzichts ist nämlich die bloße Chance, mit dem Tod des (vom Verzichtenden zu überlebenden) Erblassers nach diesem Erbe zu werden bzw. den schuldrechtlichen Pflichtteilsanspruch zu erwerben, nicht dagegen ein Anwartschaftsrecht oder der künftige Pflichtteilsanspruch.[4] Nach ganz hM kann ein Erbverzicht unter Vorbehalt des Pflichtteils erklärt werden, also nur auf den gesetzlichen Erbteil beschränkt, und somit der Pflichtteil abweichend von der gesetzlichen Vermutungsregel in § 2346 Abs. 1 S. 2 aE vorbehalten werden.[5]

Unmittelbare Wirkung des Erbverzichts ist, dass der Verzichtende so von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist, wie wenn er zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebte, § 2346 Abs. 1 S. 2 HS. 1 BGB. Der auf sein gesetzliches Erbrecht Verzichtende hat kein Pflichtteilsrecht, § 2346 Abs. 1 S. 2 HS. 2 BGB, es sei denn, dass er sich den Pflichtteil vorbehalten hat. Unmittelbare Wirkung des Pflichtteilsverzichts ist, dass er im Hinblick auf den Verzichtenden den Pflichtteil daran hindert, im Erbfall (des Erblassers) zu entstehen.[6] Der Erblasser ist jedoch weder durch einen Pflichtteilsverzicht noch durch einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht daran gehindert, den Verzichtenden zum Erben einzusetzen.[7]

Von dem Gegenstand des Verzichts und seiner unmittelbaren Wirkung zu unterscheiden ist die Frage nach seinen Fernwirkungen. Mangels höchstrichterlicher Stellungnahme kontrovers diskutiert wird der Verlust von Rechtspositionen des Verzichtenden, insbesondere bei den Verteidigungsrechten nach den §§ 2318, 2319, 2328 BGB und im Unterhaltsrecht (nachehelicher bzw nachpartnerschaftlicher Unterhalt, § 1586 b BGB, ggf iVm § 16 LPartG). Im Höferecht (Nachabfindungsanspruch nach § 13 HöfeO) ist die Fernwirkung vom BGH anerkannt. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass diese Fernwirkungen, wenn überhaupt, nur dann eintreten können, wenn der Verzicht den Pflichtteil erfasst. Wird ein Erbverzicht unter Vorbehalt des Pflichtteils erklärt, so stellt sich die Problematik der Fernwirkungen nicht.[8]

[1] BGH v. 7.12.2011, IV ZR 16/11, NJW-RR 2012, 332 = ZEV 2012, 145 Rn 14; BGH v. 4.7.1962, V ZR 14/61, BGHZ 37, 319, 327; RG v. 26.10.1931, IV 83/31, LZ 1932, 102.
[2] Vgl. Motive V, 471 ("eine die Delation unmittelbar ändernde Verfügung").
[3] Vgl. Staudinger/Schotten, 2016, Einl. zu §§ 2346 ff Rn 15; Weidlich, ZEV 2011, 530.
[4] BeckOK/Litzenburger, § 2346 Rn 2; Mayer, MittBayNot 1997, 85, 86; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 7 IV 1; FAKomm-ErbR/Tschichoflos, 4. Aufl. 2013, § 2346 Rn 2; RG v. 28.1.1907, 276/06 IV, JW 1907, 167, 168 ("Hoffnung"). AA v. Lübtow, Erbrecht I, S. 524 ("gegenwärtige, im objektiven Recht begründete Anwartschaft").
[5] BeckOGK/Everts, Stand 1.10.2016, § 2346 Rn 44; v. Proff, ZEV 2016, 173.
[6] Vgl. Staudinger/Schotten, Einl. zu §§ 2346 ff Rn 17, 23; Kipp/Coing, Erbrecht, § 82 II. 1.a; aA Kornexl, Der Zuwendungsverzicht, Rn 63 ff.
[7] BGHZ 193, 369 Rn 11.
[8] Dieckmann, NJW 1980, 2777.

II. Verlust der Verteidigungsrechte aus §§ 2318, 2319, 2328 BGB als Verzichtsfolge?

Es ist umstritten, ob derjenige, der auf seinen Erbteil (ohne Vorbehalt des Pflichtteils) oder auf den Pflichtteil verzichtet hat, sich nach dem Erbfall noch auf die Verteidigungsrechte aus den §§ 2318, 2319, 2328 BGB berufen und verlangen kann, "dass ihm sein eigener Pflichtteil verbleibt".[9]

[9] Allgemein und eingehend zur Pflichtteilslast und auch zu den Verteidigungsrechten Dahlkamp, RNotZ 2014, 257.

1. Wirkung der Verteidigungsrechte

Die Thematik sei an einem Beispiel zu § 2318 Abs. 3 BGB (Vermächtniskürzung durch den pflichtteilsberechtigten Erben) verdeutlicht:[10] Die verwitwete Erblasserin E hinterlässt zwei Kinder, K1 und K2, einen Nachlasswert von 100.000 EUR und ein Testament, in dem sie K1 zum Alleinerben eingesetzt, ihrem Lebensgefährten L ein Vermächtnis über 60.000 EUR ausgesetzt und gemäß § 2324 BGB angeordnet hat, dass der Erbe abweichend von § 2318 Abs. 1 BGB die Last des Pflichtteils des K2 allein tragen und das Vermächtnis nicht entsprechend anteilig kürzen darf. K1 hatte vor langer Zeit auf seinen Pflichtteil nach E verzichtet. K2 verlangt seinen Pflichtteil von 25.000 EUR und L besteht auf sein Vermächtnis. Kann K1 das Vermächtnis des L nach § 2318 Abs. 3 BGB um 10...

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