Clemens Jestaedt

zerb verlag, 1. Auflage 2015, 204 Seiten, broschiert, 49,– EUR

ISBN 978-3-95661-023-3

Unsere Rechtsordnung betrachtet die Testierfreiheit, verstanden als das Recht, noch auf dem Sterbebett selbstbestimmt über das Schicksal des eigenen Nachlasses entscheiden zu können, als hohes Gut. Diese Freiheit kann zum einen durch den Entschluss eines Erblassers, sich im Rahmen eines Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments gegenüber einer anderen Person zu binden, zum anderen durch den Verlust der Testier- bzw. Geschäftsfähigkeit eingeschränkt werden. Wenn beide Einschränkungen aufeinandertreffen, stellt sich die Frage nach den "Auswirkungen der Geschäftsunfähigkeit auf die Lösungsmöglichkeiten vom gemeinschaftlichen Testament und vom Erbvertrag", der Clemens Jestaedt monographisch nachgegangen ist.

Er beginnt seine Untersuchung mit allgemeinen Ausführungen über die (Los-)Lösung von letztwilligen Verfügungen (Kap. 2), über das gemeinschaftliche Testament und den Erbvertrag (Kap. 3) sowie über die Geschäftsfähigkeit im Erbrecht (Kap. 4). Die Darstellung orientiert sich weitgehend an der herrschenden Meinung und dient vor allem der Einordnung der Thematik in den Gesamtkontext. Der im Erbrecht Kundige mag diese Abschnitte überspringen. Anders liegt es aber bei den Kapiteln 5 und 6, die den Schwerpunkt der Arbeit bilden. Hier beschäftigt sich Jestaedt zunächst damit, wie sich der Geschäfts- bzw. Testierunfähige von einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag lösen kann. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Anfechtung gemäß § 2282 BGB, da diese im Fall der Geschäftsunfähigkeit des Erblassers von dessen gesetzlichem Vertreter erklärt werden kann. Im Folgenden widmet sich die Arbeit der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Lösung von gemeinschaftlichem Testament und Erbvertrag gegenüber einem Geschäfts- bzw. Testierunfähigen möglich ist. Überzeugend legt Jestaedt hierbei dar, dass es genügt, wenn der Rücktritt vom Erbvertrag bzw. der Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments entweder gegenüber dem Geschäftsunfähigen oder seinem gesetzlichen Vertreter abgegeben wird (wobei die Erklärung freilich letztlich stets dem Vertreter zugehen muss, damit sie wirksam wird). Dies ist für die Auswahl des richtigen Zustellungsadressaten bei diesen Erklärungen von hoher praktischer Bedeutung. Ebenfalls nicht nur von akademischem Interesse sind die Überlegungen zur Vertretung des Geschäftsunfähigen. So beschäftigt sich der Verfasser mit der Frage, ob die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge für die Abgabe und Entgegennahme von Erklärungen im erbrechtlichen Kontext genügt, was er im Ergebnis grundsätzlich bejaht. In sehr weitem Umfang erkennt Jestaedt auch die Zulässigkeit der rechtsgeschäftlichen Vertretung an, etwa für die Entgegennahme einer Rücktritts- oder Widerrufserklärung, sodass diese nach seiner überzeugend dargelegten Auffassung auch beim Zugang gegenüber einem Vorsorgebevollmächtigten wirksam werden.

Insgesamt zeichnet sich die Arbeit dadurch aus, dass sie in einem für eine Dissertation ungewöhnlich hohen Maße auch für den Erbrechtspraktiker wertvolle Überlegungen enthält. So bietet sie aufgrund ihrer systematischen Auseinandersetzung mit zahlreichen Einzelproblemen in der Schnittmenge der Themenkreise Testier-/Geschäftsunfähigkeit und erbrechtliche Bindung wertvolle Argumentationshilfen, etwa für ein Gerichtsverfahren. Auch der Notar, der mit der Herausforderung konfrontiert ist, eine erbrechtliche Bindung zu beseitigen, kann das Werk mit Gewinn zu Rate ziehen. Dies fällt umso leichter, als die Arbeit klar gegliedert ist und einen überschaubaren Umfang hat. Beides ist Ausdruck des offenkundigen Bemühens um die Konzentration auf das Wesentliche, das den Verfasser leider mitunter auch zu unzulässigen Pauschalierungen und sprachlichen Ungenauigkeiten veranlasst hat. Angesichts der respektablen Gesamtleistung sieht der Leser über diese kleineren Schwächen sicherlich gerne hinweg.

Autor: Dr. jur. Dipl.-Psych. Michael Bernauer, LL.M.

Dr. jur. Dipl.-Psych. Michael Bernauer, LL.M.

ZErb 2/2016, S. 056

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