Vor über 40 Jahren dürfte die Frage nach einer Berührung mit dem türkischen Erbrecht aus deutscher und/oder europäischer Sicht keine allzu große Rolle gespielt haben. Jedoch hat sich in den letzten Jahren sehr viel geändert. Das türkische Erbrecht hat an Bedeutung zugenommen.[1] Zum einen ist hervorzuheben, dass die Arbeitsmigration in den 60-er Jahren einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung gehabt haben dürfte. Die 1. Generation und mittlerweile auch die nachfolgenden Generationen haben in Deutschland und auch in der Türkei von ihren Ersparnissen Investitionen getätigt, auch in Form von Altersvorsorge, zum Beispiel durch Erwerb einer Immobilie (oder mehrerer) in Deutschland und/oder in der Türkei.

Die Türkei ist zudem seit Jahren ein beliebtes Urlaubsziel für viele Deutsche geworden. Mal abgesehen von den Pauschalurlaubsreisen, bietet die Türkei rund um Antalya/Alanya auch für viele Deutsche, die keinen familiären Bezug zur Türkei haben, einen Ort, um den Ruhestand zu genießen. Viele Deutsche haben sich deshalb eine Immobilie in der Türkei gekauft. Dann kamen in den letzten Jahren infolge der Globalisierung binationale Eheschließungen hinzu, die in der Regel sowohl in familienrechtlicher, aber eben auch aus erbrechtlicher Sicht eine Auslandsberührung aufweisen. Nicht zuletzt jedoch möchte ich die geschäftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei erwähnen. Es gibt in beiderlei Richtungen Investitionen durch Firmengründungen und Beteiligungen, die einen Auslandsbezug haben und somit Fragen nach dem anzuwendenden Recht im Falle eines Erbfalls aufwerfen.

Im Todesfalle sind somit unzählige Fallgestaltungen möglich, in denen ein Auslandsbezug vorliegt und es daher für uns Rechtsberater und -beraterinnen wichtig ist, sowohl im deutschen, türkischen als auch im internationalen Recht firm zu sein.

Die Motivation, sich mit diesem Thema intensiver zu befassen, rührt daher, dass die Zahlen der binationalen Ehen auch im Verhältnis Deutschland/Türkei und Europa/Türkei nicht nur, aber auch durch die Globalisierung in den vergangenen 40 Jahren zugenommen haben. Hinzu kommen die Bestrebungen innerhalb der Europäischen Union, das Rechtssystem zu vereinheitlichen und hierfür neue Rechtsverordnungen zu schaffen, die in erster Linie nur für die unterzeichnenden Mitgliedstaaten gelten, nicht jedoch unmittelbar zwischen der Türkei und Deutschland, da die Türkei ein sogenannter Drittstaat ist. Jedoch gibt es Fallgestaltungen, in denen diese neuen europäischen Verordnungen auch gegenüber Drittstaaten zur Anwendung kommen. Dies wird zum Beispiel bei Scheidungen ausländischer Ehepartner, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben, bereits deutlich. Für den Fall, dass sie keine Rechtswahl getroffen haben, ist auf ihren Scheidungsfall, aufgrund der einschlägigen Bestimmungen der Rom-III VO, deutsches Scheidungsrecht anzuwenden, auch wenn beide Ehepartner nach wie vor die türkische Staatsangehörigkeit besitzen.

Das bedeutet demnach, dass durch die Einführung des gewöhnlichen Aufenthaltes als Anknüpfungspunkt auch für Nichtdeutsche mit Wohnsitz in Deutschland oder Europa ab 17.8.2015 die ErbRVO gelten wird, wohingegen das türkische Erbrecht nach wie vor in erster Linie an das Heimatrecht, und damit an die Staatsangehörigkeit anknüpft. Das bedeutet, dass es in bestimmten Konstellationen zukünftig nicht zu einer Rechtsvereinheitlichung, sondern zu häufigeren Fällen mit internationalen Entscheidungsdissens kommen wird. In diesem Artikel soll ein Überblick geschaffen werden über die derzeitige Rechtslage in der Türkei und in Deutschland. Gleichzeitig soll ein Blick in die Zukunft gerichtet und geprüft werden, ob und wenn ja wie sich die Rechtslage ab 17.8.2015 auf die Erbrechtsfälle mit Türkeibezug auswirken wird.

[1] Serozan, Die Entwicklung des türkischen Erbrechts, in: Krüger/Körtek (Hrsg.), Beiträge zum türkischen Recht, Erbrecht und Sozialrecht, Deutsch-Türkische Rechtsstudien, Band 9.

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