Leitsatz

1. Bei einer wechselbezüglichen Verfügung soll nach dem Willen der Eheleute die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen.

2. Setzen die Ehegatten durch gemeinschaftliches Testament das gemeinsame Kind jeweils direkt zu ihrem Erben ein, besteht die tatsächliche Vermutung, dass die jeweilige Erbeinsetzung nicht wechselbezüglich verfügt ist. Dies gilt, solange keine sonstigen Tatsachen vorhanden sind, aus denen geschlossen werden könnte, dass der eine Ehegatte gerade deshalb das andere Kind zu seinem Erben bestimmt hat, weil auch der andere Ehegatte entsprechend verfügt hat.

3. Die ergänzende Testamentsauslegung setzt eine Regelungslücke voraus.

4. Die Feststellungslast für die die Wechselbezüglichkeit einer Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament begründenden Tatsachen trifft denjenigen, der sein Erbrecht auf die Wechselbezüglichkeit stützt.

KG Berlin, Beschl. v. 12.2.2021 – 6 W 1071/20

1 Tatbestand

I.

Das Nachlassgericht hat durch den angefochtenen Beschluss festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1) auf der Grundlage des Testamentes des Erblassers vom 12.4.2019 beantragten Testamentsvollstreckerzeugnisses vorliegen. In diesem Testament hat der Erblasser die gesetzliche Erbfolge angeordnet, je ein Vermächtnis zugunsten der Beteiligten zu 1) sowie eines Freundes ausgesetzt und die Beteiligte zu 1) als Testamentsvollstreckerin zur Erfüllung der Vermächtnisse ernannt.

Die Beteiligte zu 2) ist als einzige und gemeinsame Tochter des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau seine gesetzliche Erbin. Sie macht geltend, der Wirksamkeit der Anordnung der Testamentsvollstreckung stünde die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testamentes ihrer Eltern vom 21.3.1997 entgegen, durch das sie von beiden Elternteilen zur Alleinerbin eingesetzt wurde und mit dem diese zugleich das frühere gemeinschaftliche Testament vom 7.7.1992 widerrufen haben, in dem sich die Eltern gegenseitig als Alleinerben eingesetzt und sie – für den Fall, dass der Längstlebende keine andere Verfügung von Todes wegen getroffen hat – als Schlusserbin eingesetzt hatten.

Das Nachlassgericht hat der am 8.12.2020 eingegangenen Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den ihren Verfahrensbevollmächtigten am 11.11.2020 zugestellten Beschluss nicht abgeholfen.

2 Gründe

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige befristete Beschwerde hat aus den zutreffenden Gründen des Nichtabhilfebeschlusses vom 14.12.2020, in dem sich das Nachlassgericht zutreffend mit den Argumenten der Beschwerdebegründung auseinandergesetzt hat, keinen Erfolg.

Der Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses für die Beteiligte zu 1) aufgrund der Anordnung im einseitigen Testament des Erblassers vom 12.4.2019 stehen keine bindenden wechselbezüglichen Verfügungen des Erblassers in dem gemeinschaftlichen Testament des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau vom 21.3.1997 entgegen, weil es sich bei der dortigen unbeschränkten Einsetzung der gemeinsamen Tochter um keine wechselbezügliche Verfügung im Sinne des § 2270 BGB handelt, die mit dem Vorversterben der Ehefrau im Jahre 2009 gemäß § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB unwiderruflich geworden wäre. Der Erblasser konnte die Einsetzung der Beteiligten zu 2) als seine Alleinerbin daher wirksam ganz oder zum Teil durch die Aussetzung von Vermächtnissen und die Anordnung der Testamentsvollstreckung widerrufen.

Eine Wechselbezüglichkeit der Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament setzt gemäß § 2270 Abs. 1 BGB voraus, dass aus dem Zusammenhang des Motivs heraus die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, also nach dem Willen der Eheleute die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll (vgl. BayObLG, Beschl. v. 2.7.1985 – BReg 1 Z 42/85, RPfleger 1985,445, Rn 46 m.w.N.; Palandt/Weidlich, BGB, 80. Auflage, § 2270 Rn 1 m.w.N.; Staudinger/Kanzleiter, (2019) BGB, § 2270 Rn 4; S.Kappler/T.Kappler – kurz: Kappler in: Erman, BGB, 16. Auflage 2020, § 2270 Rn 1 f., jew. m.w.N.). Enthält das Testament – wie hier – keine ausdrückliche Bestimmung über die Wechselbezüglichkeit, ist diese durch Auslegung zu bestimmen. Dabei muss der Inhalt der Erklärungen als Ganzes gewürdigt werden, einschließlich der Nebenumstände, und zwar auch solcher außerhalb der Testamentsurkunde, soweit sie im Testament angedeutet wurden; auch die allgemeine Lebenserfahrung ist zu berücksichtigen. Danach liegen hier keine hinreichenden Tatsachen vor, aufgrund derer eine entsprechende Feststellung getroffen werden könnte.

1. Dafür reicht es nicht aus, dass sich die Eheleute der Form des gemeinschaftlichen Testamentes bedient und in der Wir-Form erklärt haben, die Beteiligte zu 2) als ihre gemeinsame Tochter zu ihrer Alleinerbin einzusetzen. Dies zeigt zwar unzweifelhaft einen entsprechenden übereinstimmenden Willen auf, lässt aber keinen hinreichenden Schluss auf die Wechselbezüglichkeit zu. Denn auch im gemeinschaftlichen Testament v...

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