Unter Berücksichtigung der Niedrigzinsphase – insb. des vereinfachten Ertragswertverfahrens

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Die Staatsschuldenkrise und die damit einhergehende Niedrigzinsphase führte beim vereinfachten Ertragswertverfahren zu hohen Kapitalisierungsfaktoren und somit zu vergleichsweise hohen Unternehmenswerten. Ob das vereinfachte Ertragswertverfahren unter diesen Umständen noch zu offensichtlich richtigen Ergebnissen führte, ist fraglich. Im Rahmen der Erbschaftsteuerreform schuf der Gesetzgeber daher einen Handlungsspielraum zur Anpassung des Kapitalisierungsfaktors an die Entwicklung der Zinsstruktur.

I. Vormerkung

Grundgesetz und Erbschaftsteuergesetz scheinen ein ambivalentes Verhältnis zu pflegen. Das Bundesverfassungsgericht intervenierte dreimal in den letzten elf Kalenderjahren und sah das ErbStG nicht im Einklang mit einer verfassungskonformen Gleichbelastung.[1] Im gegenwärtigen Urteil forderte Karlsruhe die Legislative dazu auf, bis spätestens zum 30.6.2016 eine Neuregelung zu treffen.[2] Die Frist wurde vom Gesetzgeber nicht eingehalten. Der Bundestag verabschiedete einen ersten Gesetzesentwurf am 24.6.2016. Ungeachtet dessen verweigerte der Bundesrat am 8.7.2016 seine Zustimmung und rief den Vermittlungsausschuss ein.[3] Am 14.10.2016 segnete der Bundesrat die Beschlussempfehlung des BT-Finanzausschusses vom 22.9.2016 endgültig ab.[4] Die Gesetzesreform wird in der Literatur, unter anderem aufgrund einer Rückwirkungsproblematik der Begünstigungsvorschriften des § 13 a und 13 b ErbStG, bereits kontrovers diskutiert.[5] Der nachstehende Beitrag widmet sich der Änderung des Kapitalisierungsfaktors im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach § 203 BewG und § 205 Abs. 11 BewG.[6] Der neue steuerrechtliche Bewertungsrahmen wirft charakteristische Fragen auf, insbesondere unter Berücksichtigung der aktuellen Niedrigzinsphase und deren Auswirkung auf Unternehmensbewertungen.

[3] Vgl. BT-Drucks. 18/5923; vgl. BT-Drucks. 18/6279; vgl. BT-Drucks. 18/6410 Nr. 4; vgl. BT-Drucks. 18/8911; vgl. BR-Drucks. 344/16.
[4] Vgl. BT-Drucks. 18/9690; vgl. BR-Drucks. Beschluss 555/16.
[5] Vgl. Koblenzer/Günther, DB 2016, 2016; vgl. Reich, DStR 2016, 1460; vgl. Zipfel/Lahme, DStZ 2016, 566; vgl. Bäuml, DB 2016, 1600; vgl. Seer, GmbHR 2016, 674.
[6] Vgl. BT-Drucks. 18/960, 4.

II. Erbschaftsteuerliche Unternehmensbewertung in der Niedrigzinsphase

Die Grundlage für eine erbschaftsteuerliche Bewertung ist nach § 12 ErbStG das BewG. Auf Basis des § 9 Abs. 1 BewG ist bei der steuerlichen Bewertung grundsätzlich der gemeine Wert zugrunde zu legen.[7] Dies gilt laut § 11 BewG iVm § 109 BewG auch für Betriebsvermögen. Liegen für die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften weder Börsenkurswerte noch vergleichbare Transaktionen vor, so ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu ermitteln. Zudem sind für die Wertermittlung andere, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke anerkannte, Methoden zulässig.[8] Demzufolge kommt das vereinfachte Ertragswertverfahren nach § 11 Abs. 2 S. 2 BewG zur Anwendung, sofern dieses nicht durch alternative, zugelassene Verfahren umgangen wird.[9] Der Kapitalisierungszinssatz setzt sich dabei nach § 203 BewG aus einem Basiszins, der aus den langfristigen Zinsstrukturdaten öffentlicher Anleihen abgeleitet wird, und einem Zuschlag von 4,5 Prozent zusammen. Durch den Kehrwert des Kapitalisierungszinssatzes wird der Kapitalisierungsfaktor ermittelt. Aufgrund der Kehrwertformel verhalten sich Kapitalisierungsfaktor und Kapitalisierungszinssatz diametral.

Die Auswirkungen der Niedrigzinsphase auf das vereinfachte Ertragswertverfahren sind insofern relevant, da das Verfahren maßgeblich für die Ermittlung einer erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage ist.[10] Eine geringe Verzinsung von Alternativanlagen führt unweigerlich zur Steigerung des Unternehmenswerts, auch wenn an der Ertragsaussicht des Unternehmens per se keine Änderungen vorliegen.[11] Die Senkung des risikolosen Zinssatzes führt folglich zu höheren Kapitalisierungsfaktoren und damit zu hohen Unternehmenswerten. Angesichts des Verlaufs des risikolosen Zinssatzes innerhalb der letzten Jahre lässt sich eine langfristige und internationale Entwicklung hin zu einem konstanten Niedrigzinsniveau nicht abstreiten.[12] Die Ursache der Niedrigzinsphase steht zudem im direkten Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise. Wird diese Problematik erkannt, muss die Niedrigzinsphase als ein langfristiges Phänomen anerkannt werden und es sollten Lösungen gefunden werden, welche diese Problematik im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens berücksichtigen.[13] Im Hinblick auf die Neuregelungen der steuerlichen Bewertung drängt sich die Frage auf, ob das vereinfachte Ertragswertverfahren in aktueller Form und unter Berücksichtigung des Zinsniveaus nicht zu offe...

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