Es wäre befürwortenswert gewesen, im hier diskutierten Fall das Bestehen eines Pflichtteilsrechts in der Enkelgeneration zu verneinen.[14]

Variiert man die Fallkonstellation, zeigt sich besonders deutlich, dass die hier angestellten Überlegungen plausibel sind:[15] Hat ein Erblasser zwei Kinder und setzt er beide Kinder hälftig zu Erben ein, so entspricht es in aller Regel seinem Willen, beide Stämme gleichmäßig zu bedenken. An dieser Interessenlage wird sich auch dann nichts ändern, wenn sich der Erblasser mit seinen Zuwendungen über einen vorherigen Erbverzicht eines späteren Erben hinwegsetzt.[16] Könnten Kinder des später wieder eingesetzten Erben nach Tod des Erblassers ihren Pflichtteil verlangen, würde das vom Erblasser verfolgte Ziel der Gleichbehandlung der Erben verfehlt, weil sich der Pflichtteilsanspruch der Enkel auch auf den Wert des Erbteils des anderen Stammes auswirkt. Wie Lichtenwimmer schon andeutet,[17] bleibt dem BGH allerdings die Möglichkeit, auch in dem hier skizzierten Fall seine Rechtsprechung durch Anwendung der (an sich für andere Fälle gedachten) Vorschrift des § 2320 Abs. 2 BGB aufrechtzuerhalten, ohne die genannten Konsequenzen ziehen zu müssen. Da aber § 2320 BGB nur im Verhältnis der Miterben zueinander gilt,[18] trüge der andere Stamm im Außenverhältnis zumindest ein zusätzliches Risiko.

Röhl[19] versteht den BGH in seinem Urteil vom 27.6.2012 so, dass ein Fall mit mehreren Stämmen anders entschieden würde als der Fall mit einem Stamm, und stellt dar, dass auch eine uneinheitliche Behandlung der Fälle problematisch wäre. Denn entschiede man die Fallvariation anders (nämlich zulasten des Pflichtteilsrechts in der Enkelgeneration) als die Fallgestaltung, die der Entscheidung des BGH zugrunde lag, und verstürbe das zweite Kind des Erblassers kurz vor diesem kinderlos, so entstünde unvorhersehbarerweise ein Pflichtteilsrecht im Stamm des Verzichtenden aus dem Nichts.

[14] Der Wortlaut des § 2309 BGB (der hier keine entscheidende Rolle spielen soll) stützt die hier vertretene Auffassung nicht weniger als die Meinung des BGH.
[15] Sowohl der BGH (ZErb 2012, 238, 240) als auch Lichtenwimmer in ihrer Anmerkung (BGH ZEV 2012 474 ff m. Anm. Lichtenwimmer) haben diese Problematik gesehen, ziehen aber nicht die hier vorgeschlagenen Konsequenzen.
[16] In der Praxis wäre als Motiv beispielsweise denkbar, dass zu Zeiten schmaler finanzieller Verhältnisse eines von zwei Kindern gegen Abfindung auf seinen Erbteil verzichtet, sich aber später die Vermögensverhältnisse des Erblassers so erheblich entwickeln, dass die frühere Abfindung keine Rolle mehr spielt; oder dass das andere Kind zwischenzeitlich (ohne Verzicht) finanziell gleichgestellt wurde.
[17] BGH ZEV 2012, 474 ff m. Anm. Lichtenwimmer.
[18] Weidlich in: Palandt, § 2320, Rn 1.
[19] Röhl, DNotZ 2012, 724, 929.

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