39. Berliner Steuergespräch[1], Tagungsbericht

[1] Ein ausführlicher Tagungsbericht kann abgerufen werden unter: www.steuergespraeche.de

Einführung

Die steuerwirksame Verrechnung von Verlusten mit positiven Einkünften ist Ausdruck des objektiven Nettoprinzips. Das deutsche Steuerrecht ist von zahlreichen Verlustverrechnungsbeschränkungen durchsetzt. Man findet einschlägige Normen nicht nur im Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuergesetz, sondern darüber hinaus auch im Außen-, Investment- und Umwandlungssteuergesetz und in den von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen. Die damit inzwischen erreichte hohe Regelungsdichte und Komplexität der einzelnen Vorschriften erschweren eine sichere Rechtsanwendung. Angesichts der steuersystematischen Schwächen und inneren Widersprüche zahlreicher Verlustverrechnungsbeschränkungen erscheint eine Neuordnung der steuerlichen Verlustverrechnung in Deutschland dringend geboten.

Das 39. Berliner Steuergespräch – moderiert von Herrn Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff[3] – bot ein Forum zum Austausch zwischen Steuerwissenschaft, Steuerpraxis und -politik, an dem neben den zwei Referenten Herrn Dr. Christian Dorenkamp LL.M.[4] und Herrn Peter Rennings[5] auch Herr Prof. Dr. Marc Desens[6], Herr Prof. Dr. Wolfgang Kessler[7] sowie Herr Prof. Dr. Franz Wassermeyer[8] mitwirkten.

[3] Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff, ist Präsident des Bundesfinanzhofs, München.
[4] Dr. Christian Doreenkamp, LL.M. ist Rechtsanwalt, Steuerberater und verantwortet die Steuerpolitik, US-Steuern und den Zollbereich der Deutschen Telekom AG, Bonn.
[5] Peter Rennings ist Referatsleiter im Bundesministerium der Finanzen, Berlin.
[6] Prof. Dr. Marc Desens ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Steuerrecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht, Universität Leipzig.
[7] Prof. Dr. Wolfgang Kessler ist Inhaber des Lehrstuhls für betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Universität Freiburg.
[8] Prof. Dr. Franz Wassermeyer ist Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof a.D. (München) sowie Rechtsanwalt, Steuerberater und Of Counsel bei Flick Gocke Schaumburg, Bonn.

A. Referate

I. Haushaltsverträgliche Abschaffung der Mindestbesteuerung

Nach Dr. Dorenkamp sollte die Abschaffung der Mindestbesteuerung ganz vorrangiges Ziel der Steuerpolitik im Rahmen einer Neuordnung der steuerlichen Verlustverrechnung in Deutschland sein. Die Mindestbesteuerung verpflichte einen Steuerpflichtigen zu Steuerzahlungen, auch wenn insgesamt ein Null- oder sogar negatives Ergebnis erzielt worden sei. Dies verstoße gegen das objektive Nettoprinzip, was der Gesetzgeber nicht mit steuersystematischen Argumenten, sondern lediglich mit dem gewaltigen Verlustvortragspotenzial der Unternehmen begründe.

Zwar sei dem Gesetzgeber zuzustimmen, dass der Bestand an Verlustvorträgen mit je rund 500 Mrd. EUR (Körperschaft- und Gewerbesteuer) im VZ 2004 hoch erscheine. Fiskalisch relevant für die Bestimmung des Haushaltsrisikos durch die Abschaffung der Mindestbesteuerung sei jedoch nicht die Bestandshöhe der Verlustvorträge, sondern ausschließlich der tatsächlich in Anspruch genommene Verlustabzug. Tatsächlich sei in den VZ 1998 bis 2004 vom gesamten Verlustvortragsbestand nur ein relativ geringer Verlustabzug in einem Umfang von 17 bis 25 Mrd. EUR vorgenommen worden.

Der Gesetzgeber könne eine haushaltsverträgliche Abschaffung der Mindestbesteuerung erreichen, indem die Mindestbesteuerung zunächst nur noch auf Altverluste beschränkt würde, d. h. Neuverluste könnten vollständig berücksichtigt werden ("Phasing-Out-Modell"). Eine solche Regelung würde im Einführungsjahr für den Fiskus keine Mindereinnahmen zur Folge haben. Sämtliche Verluste der Vergangenheit wären weiterhin in der Mindestbesteuerung "verhaftet". Da Altverluste durch diese Übergangsregelung jedoch dauerhaft gegenüber Neuverlusten benachteiligt würden, sollte das "Phasing Out Modell" durch eine zweite Übergangsregelung ergänzt werden. Ein ratierliches Abschmelzen der 40%igen Mindestbesteuerung würde die zeitweise Benachteiligung der Altverluste abmildern und erscheine deshalb ratsam, z. B. über acht Jahre um 5 Prozentpunkte p. a. (sog. "Abschmelzmodell").

II. Neustrukturierung der Mindestbesteuerung

Nach Herrn Rennings sei ein zentraler Punkt der Diskussion um die Neustrukturierung der Verlustverrechnung die Mindestbesteuerung. Untersuchungen hätten ergeben, dass sie in konjunkturell guten Jahren zu einer Erhöhung des Steueraufkommens von ca. 3 Mrd. EUR bei vergleichsweise geringen Belastungswirkungen auf Seiten der Steuerpflichtigen führe. Statistische Zahlen belegten, dass lediglich 2.810 von 800.000 Körperschaftsteuersubjekten und 2.871 von über 2,6 Mio. Gewerbesteuerpflichtigen durch die Mindestbesteuerung tatsächlich belastet würden. Der Mittelstand werde hingegen aufgrund des Sockelbetrags von 1 Mio. EUR regelmäßig nicht erfasst.

Bei Beibehaltung der Mindestbesteuerung müsse allerdings eine verbesserte Abstimmung mit anderen Verlustverrechnungsbeschränkungen gewährleistet werden. Zu denken sei hier an Fälle, in denen die Mindestbesteuerung mit dem Wegfall von Verlusten in Umwandlungsfällen...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge