Unter der Herrschaft des gemeinen Rechts konnte ein Elternteil seinem Kind einen Erbteil zuwenden, der den Pflichteil überstieg, aber mit Beschränkungen oder Belastungen versehen war, und hinzufügen, wenn das Kind diesen Erbteil nicht annehme, solle es nur den Pflichtteil bekommen.[5] Diese Erbeinsetzung ist mit dem Namen des italienischen Juristen Marianus Socinus des Jüngeren verbunden. Er hat sie zwar nicht erfunden, wohl aber für ihre Verteidigung und Verbreitung gewirkt.[6]

Mit Inkrafttreten des BGB ist die Urform der cautela Socini durch § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB alter Fassung[7] gegenstandslos[8] und durch § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB alter Fassung überflüssig geworden.[9] Darauf hat Kipp[10] schon sehr früh hingewiesen. Auch nach § 2306 Abs. 1 BGB aktueller Fassung kann ein pflichtteilsberechtigter Erbe entscheiden, ob er einen mit Testamentsvollstreckung belasteten Erbteil, annimmt oder ob er ihn ausschlägt und den Pflichtteil verlangt. Rechtlich gesehen kann der Erblasser mit dieser cautela Socini also nur wiederholen, was bereits im Gesetz steht.

Aber die Gestaltungspraxis hat die klassische cautela Socini fortentwickelt.[11] Nunmehr soll der Erblasser seinem Kind auch die Wahl zwischen einem belasteten Erbteil und einem unbelasteten Erbteil einräumen können. Die Höhe der Erbteile kann beliebig sein. Aber damit das Kind die Kröte in Gestalt der Belastung schluckt, wird ihm ein belasteter Erbteil angeboten, der seinen Pflichtteil übersteigt, und ein unbelasteter Erbteil, der seinem Pflichtteil gleichkommt.

a) Zuwendung von zwei Erbteilen

Bei einem Wahlvermächtnis (§ 2154 BGB) wird, wie bei der Wahlschuld des Schuldrechts (§ 262 BGB),[12] eine Forderung mit alternativen Leistungsgegenständen zugewendet, verbunden mit dem Recht des Bedachten oder eines Dritten, einen der Leistungsgegenstände zu wählen und den Anspruch darauf festzulegen.[13]

Eine damit vergleichbare Wahlerbeinsetzung ist mit § 2065 Abs. 2 BGB nicht zu vereinbaren. Denn hier bleibt es bei der Regel, dass der Erblasser selbst den Gegenstand der Zuwendung bestimmen muss; er kann das keinem Dritten überlassen, auch nicht dem Bedachten. Daher kann er dem Erben ein Wahlrecht nur einräumen, wenn er ihn zu mehreren Erbteilen einsetzt[14] und ihm gestattet, einen Erbteil anzunehmen und den anderen auszuschlagen (§ 1951 Abs. 3 BGB). Darauf hat bereits Otte hingewiesen.[15] Deshalb muss eine Wahlerbeinsetzung, sei es durch Auslegung nach § 2084 BGB, sei es durch Umdeutung nach § 140 BGB, so verstanden werden, dass der Erblasser nicht eine Erbeinsetzung mit alternativem Inhalt macht, sondern zwei Erbteile zuwendet, zwischen denen der Erbe wählen kann.

b) Pflichtteil bei Ausschlagung beider Erbteile

Überwiegend wird heute angenommen, dass die fortentwickelte cautela Socini nicht unter § 2306 Abs. 1 BGB fällt.[16] Dem ist zu widersprechen.

Der zu zwei Erbteilen eingesetzte Erbe soll nur einen Erbteil bekommen, nicht beide. Deshalb muss eine der Erbeinsetzungen bedingt sein, weil der Erbe diesen Erbteil nur bekommen soll, wenn er den anderen ausschlägt.

Ein Erbteil kann bedingt zugewendet werden, wie die §§ 2074 und 2075 BGB zeigen. Zulässig ist auch eine Potestativbedingung, die in den Willen des Bedachten gelegt ist. Sie darf nur nicht auf eine Vertretung im Willen hinauslaufen. Erlaubt sind daher solche Potestativbedingungen, bei denen der Erblasser seinen Willen vollständig gebildet und in seine Überlegungen das mögliche, wenn auch willensabhängige künftige Ereignis einbezogen hat. Dem ist genügt, wenn er eine Verfügung für den Fall der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft oder der Beanspruchung des Pflichtteils trifft.[17]

Im Ausgangsfall will der Erblasser erreichen, dass seine Kinder ihre größeren belasteten Erbteile annehmen. Deshalb wendet er ihnen diese Erbteile unbedingt zu. Den kleineren unbelasteten Erbteil hingegen soll jedes Kind nur bekommen, wenn es den größeren Erbteil ausschlägt. Die Ausschlagung des größeren Erbteils ist also Voraussetzung dafür, dass der kleinere Erbteil überhaupt anfällt. Daher ist diese Erbeinsetzung aufschiebend bedingt. Sie hat für jedes Kind eine konstruktive Vor- und Nacherbfolge zur Folge.[18] Für den kleineren Erbteil sind die Kinder daher Nacherben. Vorerben sind die gesetzlichen Erben des Erblassers. Zu ihnen gehören die Kinder nicht. Das folgt aus § 2100 BGB, wonach ein und dieselbe Person für dieselbe Zuwendung nicht zugleich Vorerbe und Nacherbe sein kann.

Jedes Kind kann beide Erbteile ausschlagen, ohne seinen Pflichtteil einzubüßen: Den größeren Erbteil kann es nach § 2306 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 1946 BGB ausschlagen, weil es durch die Ernennung eines Testamentsvollstreckers beschränkt ist. Den kleineren Erbteil kann es nach § 2306 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2142 Abs. 1 BGB ausschlagen, weil es dafür Nacherbe ist.[19] Dass es den Nacherbfall selbst herbeiführen kann, ändert daran nichts. Denn maßgebend für die Erbenstellung sind die Verhältnisse im Erbfall.[20] Sie bleiben unverändert, wenn der Nacherbf...

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