Dieser Ambivalenz von letztwilligen Zuwendungsgestaltungen war sich schon der historische Gesetzgeber bewusst. In § 2338 BGB hat er eben die Gestaltungsmittel, die üblicherweise für Einschränkungen bei der Nachlassbeteiligung zum Einsatz kommen – wie Nacherbfolge, Nachvermächtnis und Testamentsvollstreckung – als einen "Akt der Zwangsfürsorge" instrumentalisiert[18] und damit Erblassern einen Weg eröffnet, durch eine Pflichtteilsbeschränkung in "guter" Absicht das Familienvermögen vor dem Gläubigerzugriff überschuldeter Pflichtteilsberechtigter zu retten.[19]

Diesem Weg ist der Senat in seinen drei revolutionären Entscheidungen von 1990, 1993 und 2011[20] gefolgt, indem er alle gesetzlichen Gestaltungspfade geprüft hat, auf denen Bedürftige Begünstigungen erhalten können, die ohne solche Umwege von Sozialhilfeträgern abgegriffen würden. Denn es gilt in erster Linie uneingeschränkte Pflichtteilsansprüche auszuschließen, weil diese ohne Weiteres gemäß § 93 SGB XII (früher § 90 BSHG) überleitbar sind, sodass den so Bedachten angesichts bereits erhaltener Sozialhilfeleistungen in erheblichem Umfang regelmäßig nichts davon zugutekommt. Auf diesen Wegen, die letztlich zur erbrechtlichen Gleichbehandlung und Gleichstellung aller Abkömmlinge – ob Sozialleistungsbezieher oder nicht – führen sollen, sind angesichts der brandaktuell wieder aufgestellten konterrevolutionären Barrikaden heute mehr denn je Notare als Routenplaner gefragt und gefordert.

[18] MüKo-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2338 Rn 2.
[19] Gabriele Müller aaO S. 321; Wendt aaO S. 6.
[20] BGHZ 111, 36; 123, 368; 188, 196.

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