Leitsatz

1. Schließen die Ehegatten im Rahmen eines Ehevertrags wechselseitig alle gesetzlichen Scheidungsfolgen aus, so kann dieser Ehevertrag auch dann wegen unangemessener Benachteiligung eines Ehegatten gem. § 138 BGB unwirksam sein, wenn die Ehe kinderlos geblieben ist und die Ehegatten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses über ein annhähernd identisches Einkommen verfügten, einer der Ehegatten aber bei Aufhebung des Güterstands der Zugewinngemeinschaft und Wechsel zum Güterstand der Gütertrennung sein Vermögen ohne Gegenleistung auf den anderen Ehegatten überträgt und eine Rückforderungsklausel für den Fall der Ehescheidung nicht vereinbart wird.

2. Eine unterlegene Verhandlungsposition eines Ehegatten bei Abschluss eines Ehevertrages wird im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen dann indiziert, wenn der benachteiligte Ehegatte seit längerer Zeit psychisch erkrankt ist und diese Erkrankung zu einer längerfristigen Arbeitsunfähigkeit des Ehegatten geführt hat. Es ist nicht erforderlich, dass der benachteiligte Ehegatte nachweist, dass sich die psychische Erkrankung auf sein Urteilsvermögen negativ ausgewirkt hat; ausreichend ist die Krankheit als solche, die bereits für die Annahme einer unterlegenen Verhandlungsposition spricht, insbesondere, wenn aus der konkreten Beurkundungssituation weitere nachteilige Aspekte erkennbar sind.

AG Hamburg, Beschluss vom 19. Juli 2019 – 277 F 131/19

Sachverhalt

Die Antragstellerin begehrt die Feststellung der Nichtigkeit eines Ehevertrages und nimmt den Antragsgegner weiter im Wege eines Stufenantrages auf Auskunfterteilung und gegebenenfalls Versicherung der Richtigkeit seiner Angaben an Eides statt in Anspruch. Die Beteiligten gingen am 22.7.2006 die Ehe miteinander ein und leben seit Anfang 2018 (Anlage AST 4, Blatt 38 der Akte) oder jedenfalls seit dem 8.6.2018 (Antragsschrift, Blatt 22 der Akte) voneinander getrennt. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Ein Scheidungsantrag ist bisher nicht anhängig. Die Antragstellerin war bereits vor der Eheschließung und ist bis heute durchgängig bei einer Firma im Bereich Vertrieb zahnmedizinischer Produkte angestellt. Sie bezog dort im Jahr 2010 ein durchschnittliches Nettoeinkommen von ca. 2.700 EUR, das sich inzwischen moderat gesteigert hat. Der Antragsgegner ist Groß- und Außenhandelskaufmann und arbeitete im Zeitraum von 2009–2012 für eine Firma, die Dentalprodukte vertreibt. Er erzielte in diesem Zeitraum ein monatsdurchschnittliches Nettoeinkommen von 2.400 EUR. Nach dem Jahr 2012 wechselte er mehrmals den Arbeitgeber. Seit dem 1.7.2018 ist er arbeitssuchend (Erklärung der Beteiligten zu Protokoll des Gerichts vom 5.6.2019, Blatt 179 R und 180 der Akte).

Die Antragstellerin befand sich seit Februar 2009 zumindest bis Juni 2018 wiederholt in stationärer psychiatrischer Behandlung. Hinsichtlich der einzelnen Klinikaufenthalte in den Jahren 2009–2018 wird auf die Darstellung im Schriftsatz der Antragstellerin vom 16.4.2019 sowie die dort jeweils als Anlage beigefügten Behandlungsberichte (Blatt 80 ff der Akte) Bezug genommen. Durch das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie wurde mit Bescheid vom 26.1.2010 bei der Antragstellerin ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt; davon entfällt auf die psychische Erkrankung ein Einzel-GdB von 40 (Anlage AST 21, Blatt 160 der Akte). Die Antragstellerin hatte im Jahr 1999 zum Preis von 220.000 DM eine Eigentumswohnung erworben, die sich als sogenannte Schrottimmobilie erwies. Sie war in einem gerichtlichen Verfahren gegen die finanzierende Bank unterlegen und ist weiter-hin aus dem Darlehen zur Finanzierung dieser Immobilie verpflichtet. Sie zahlt aufgrund einer Vereinbarung mit der Bank weiterhin monatlich ca. 600 EUR an Zinsen auf dieses Darlehen. Die finanzierende Bank hatte ihr in den Jahren ab 2007 und danach wiederholt Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen dieses Darlehens angedroht (Antragsschrift vom 24.1.2019, Blatt 20 der Akte; Erklärungen der Beteiligten zu Protokoll des Gerichts am 5.6.2019, Blatt 180 f. der Akte).

Am 29.3.2010 schlossen die Beteiligten zur Urkundenrollen-Nummer 158/2010 des Notars W. L. in den als Anlage AST 2 (Blatt 33 der Akte) vorgelegten Vertrag über eine ehebedingte Zuwendung des Inhalts, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner ihren Miteigentumsanteil an der damals von den Beteiligten gemeinsam bewohnten Ehewohnung mit der Belegenheit Julius-Leber-Weg in ohne Gegenleistung übertrug. Dazu ist unter anderem beurkundet worden:

"§ 2 – Ehebedingte Zuwendung "

Zitat

Die Erschienene J. F. wendet dem Erschienenen V. F., ihrem Ehemann, im Wege der ehebedingten Zuwendung im Hinblick auf die güterrechtliche Vereinbarung, die die Beteiligten am heutigen Tage treffen, ihre Miteigentumshälfte an dem Vertragsobjekt zu.

Ein Rückforderungsrecht für den Scheidungsfall wird nicht vereinbart. Der Notar hat über die Möglichkeit und Inhalt derartiger Scheidungsklauseln belehrt.“

Ebenfalls am 29.3.2010 schlossen die...

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