a) Meinungsstand

Nicht die Kenntnis des Anspruchsinhabers, sondern diejenige von Dritten soll maßgeblich sein in drei Fallgruppen: Minderjährigkeit, Betreuung sowie unter dem Schlagwort "Wissensvertreter", zusammengefasst: bei gesetzlicher oder gewillkürter Vertretung.

Der Fundus an Rechtsprechung betrifft ganz überwiegend die §§ 852 aF, 1944 Abs. 2 Satz, 1, 2332 Abs. 1 BGB,[4] die Fälle also, da Kenntniserlangung eine Frist in Lauf setzt, innerhalb derer zur Vermeidung bestimmter Rechtsfolgen, etwa Verjährung oder Erbanfall, bestimmte Rechtshandlungen vorzunehmen sind, etwa Klagerhebung oder Ausschlagung.

Im Falle gesetzlicher Vertretung des Minderjährigen durch die Eltern soll es allein auf deren Kenntnis ankommen.[5] Haben beide Eltern das Sorgerecht, wird einerseits vertreten, Kenntnis von Vater oder Mutter reiche aus,[6] andererseits, es müssten beide Elternteile Kenntnis haben.[7] Kenntnis allein eines Elternteils ohne Sorgerecht reicht jedenfalls nicht.[8]

Im Falle der Betreuung gemäß § 1903 BGB, also mit Einwilligungsvorbehalt, ist die Kenntnis des Betreuers maßgeblich.[9] Entschieden wurde dies für einen Gebrechlichkeitspfleger im Hinblick auf Kenntnis von der Verfügung gemäß § 2332 BGB.[10] Was bei Betreuung ohne Einwilligungsvorbehalt gilt, findet sich nicht diskutiert.

Als Träger der Kenntnis kommen auch gewillkürt eingeschaltete Dritte in Betracht. Zurechnung erfolgt hierbei im Wege der Analogie. § 166 Abs. 1 BGB greift dem Wortlaut nach nur für die Willenserklärungen eines Vertreters, ordnet Wissensvertretung also nur beim Abschluss von Verträgen an. "Geboten ist freilich eine analoge Anwendung der Norm, und zwar in doppelter Hinsicht: über den Kreis rechtsgeschäftlicher Vertreter hinaus und unabhängig von der Rechtsnatur des konkreten Anspruchs."[11] Nach BGH "muss sich der derjenige, der einen anderen – unabhängig von einem Vertretungsverhältnis – mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen."[12] Dieser Gedanke leitet sich aus dem allgemeinen Arglisteinwand her: Wer Wissen ohne Weiteres bei von ihm bestellten Dritten abrufen kann, handelt arglistig, wenn er sich auf Unkenntnis beruft.[13]

Über die bloße Vertretungsmacht hinaus muss demnach eine Beauftragung gegeben sein, kraft derer dem Dritten die selbstständige Erledigung eines Aufgabenbereichs zugewiesen ist.[14] (Hatte der Erblasser dem Dritten etwa Vorsorgevollmacht erteilt, von der indessen nie Gebrauch gemacht wurde, und gelangt dieser Dritte per Zufall zu Kenntnissen, so wäre eine Zurechnung ausgeschlossen.)

[4] BGH, NJW-RR 2005, 69 (Anwältin der Mutter versäumt Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der vom Lebensgefährten missbrauchten Minderjährigen: "... verjährten die Schadensersatzansprüche der Kl. gegen H. in drei Jahren, nachdem ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin ... Kenntnis erlangt hatte", ebd. 70); BGH, NJW 1995, 776, 777 zu 2 a mit Nachweisen (Geburt behinderten Kindes aufgrund Behandlungsfehlers); BGH, NJW 1989, 2323 zu II 1 a (dto.).
[5] Staudinger/Peters, Bearb. 2004, § 199 Rn 43; ggf. auf den Ergänzungspfleger, BayObLG, RPfl 1984, 403 (zu § 1944).
[6] Zu § 852: BGH, NJW 1976, 2344; OLG Frankfurt, NJW-RR 1999, 1474 unter Hinweis auf BGH wie soeben;, dto. FamRZ 1992, 181. Zum Streitstand bei § 1944 BGB vgl. OLG Brandenburg, ZEV 2002, 283, 285; Staudinger/Otte, Bearb. 2008, § 1944 Rn 14.
[7] LG Freiburg, BWNotZ 1993, 44; zu § 1944: "Genügt nur die Kenntnis eines Ehegatten, so läuft die Mitentscheidungsbefugnis eines getrennt lebenden Ehegatten unter Umständen leer ..."
[8] Staudinger/Peters aaO § 199 Rn 43. BGH, NJW 1976, 2344 weist darauf hin, dass gemäß RGZ 110, 145 im Falle der Gesamtvertretung alle Beteiligten Kenntnis haben müssten, konnte die Frage im entschiedenen Fall aber offenlassen. BGH, NJW-RR 1989, 1253, 1259 lässt bei Gesamtvertretung einer GmbH Kenntnis nur eines Geschäftsführers ausreichen, denn dieser könne die Gesellschafter allein informieren und zweckentsprechende Beschlüsse anregen.
[9] Staudinger/Peters, aaO, § 199 Rn 43.
[10] LG Siegen, NJW-RR 1993, 1420.
[11] MüKo/Grothe, 5. Aufl., § 199 Rn 33.
[12] NJW 1989, 2323 zu II 1 b. Zu § 1944 BGB vgl. BayObLG, NJW 1953, 1431, 1432 (Kenntnis des Vertreters geht vor, wenn diese früher begründet wurde als die des Vertretenen) und NJW-RR 1999, 590, 592 r. Sp. unten; nunmehr zur Frage, ob die Frist mit Eingang des Testaments beim Anwalt oder beim Vertretenen beginnt, offengelassen von OLG München, ZEV 2006, 554, 556.
[13] MüKo/Grothe, § 199 Rn 33; BGH, NJW 1968, 988 mit Hinweis auf RGZ 101, 402, 403.
[14] Entschieden ist dies maßgeblich für Anwälte, mit der Einschränkung, dass es auf deren ab Mandatsübernahme erworbenes Wissen ankomme; MüKo/Grothe, § 199 Rn 33 mit den Nachweisen in Fn 181; LG Frankfurt, WM 1993, 329, 331.

b) Gesetzliche Vertreter

Im Falle gesetzlicher Vertretung kann der Betroffene im Hinblick auf die Durchsetzung des Anspruchs selbst nicht rechtswirksam handeln. Hindert die Minderjährigkeit a...

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