Zugleich Besprechung des Urteils des KG Berlin vom 31. Mai 2017 – 21 U 9/16

1

Das KG Berlin[1] hat sich, nachdem sich erstmals in der Rechtsprechung das LG Berlin[2] als Vorinstanz mit der Frage nach der Vererbbarkeit eines Facebook-Accounts beschäftigt hat, mit dem bislang noch weitgehend ungeklärten Thema des "digitalen Nachlasses" auseinandergesetzt. Der Beitrag analysiert die Entscheidung kritisch und macht deutlich, welche Auswirkungen das von dem KG Berlin zu Unrecht angenommene Spannungsfeld zwischen dem Telekommunikationsgesetz und dem deutschen Erbrecht auf den Umgang mit dem digitalen Nachlass hat. Es zeigt sich, dass das Telekommunikationsgeheimnis (§ 88 Abs. 3 TKG) entgegen der Auffassung des KG Berlin[3] einer Vererbbarkeit von Daten nicht entgegenstehen kann.

[1] ZErb 8/2017, 225 (hier im Heft); BeckRS 2017, 111509.
[2] LG Berlin, Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15, DNotZ 2016, 537.
[3] Im Folgenden: "KG".

I. Einleitung

1. Zunehmende Bedeutung des digitalen Nachlasses

Nach dem Tod eines Menschen stehen die Erben vor der Aufgabe der Konstituierung und Abwicklung des Nachlasses, was sich – abhängig von der Komplexität des Nachlasses – durchaus als Herausforderung darstellen kann. Vor dem Hintergrund, dass die Erben nur sechs Wochen Zeit haben, die Erbschaft gegebenenfalls auszuzuschlagen (§ 1944 Abs. 1 BGB), besteht ein nachvollziehbares Interesse daran, den Nachlass möglichst zeitnah umfassend zu erfassen.[4] Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft[5] haben die Erben nicht mehr nur den "klassischen" Nachlass zu überblicken. Hinzu tritt die Tatsache, dass der Erblasser ggf. auch ein nicht unerhebliches "virtuelles Leben" geführt hat und somit neben dem "klassischen" Nachlass auch ein sogenannter (immaterieller) "digitaler Nachlass" existiert.“[6] Daten kann der Erbe naturgemäß nur insoweit physisch in Besitz nehmen, wie sie sich auf einem Datenträger befinden, welcher sich im Besitz des Erblassers befand. Extern (auf Servern) gespeicherte Daten sind jenseits seiner Kontrolle. Das Interesse der Erben, auch den digitalen Nachlass umfassend zur Kenntnis zu nehmen, ist indes hoch: So trifft die Erben nämlich die Pflicht zur ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung und -abwicklung. Darunter fällt insbesondere auch die Pflicht zur Aufdeckung und Erfüllung sämtlicher Nachlassverbindlichkeiten, für welche die Erben – jedenfalls grundsätzlich – mit ihrem eigenen Vermögen haften (§ 1967 BGB). Bedenkt man, dass in der heutigen Zeit Geschäftsbeziehungen teilweise ausschließlich "elektronisch" geführt werden und sowohl Vertragsdokumente als auch Rechnungen häufig nur noch per E-Mail versandt werden, kommt auch einer zeitnahen Konstituierung des digitalen Nachlasses eine immer erheblichere Bedeutung zu. Hat der Erblasser den Erben – wie es derzeit überwiegend die Regel ist – keine Übersicht über den Bestand seines digitalen Nachlasses hinterlassen, wird es den Erben bereits schwer fallen, den Umfang des digitalen Nachlasses überhaupt erst einmal vollständig zu erfassen. Nicht abschließend geklärt ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob den Erben diesbezüglich der allgemeine Auskunftsanspruch des § 34 BDSG zur Verfügung steht.[7]

[4] Vgl. auch Gloser, MittbayNot 2016, 12, 14; Lange/Holtwiesche, ErbR 2016, 487, 488.
[5] Hierzu ausführlich Deusch, ZEV 2014, 2: "Statistisch gesehen sterben in jeder Minute drei Facebook-Nutzer. Aktuellen Schätzungen zufolge sind etwa 5 % aller aktiven Facebook-Accounts so genannte "digitale Zombies", deren Nutzer bereits verstorben sind. Jeder Verstorbene IT-Nutzer hinterlässt digitale Spuren verschiedenster Art: Webseiten, E-Mail-und Social Media-Konten, Blogs, verschiedene Internet Identitäten, PayPal-Guthaben, Cloud-Daten, Onlinegeschäfte, virtuelle Adressbücher und Kontakte, Telekommunikationsverträge usw."
[6] Eine allgemeingültige Definition existiert bislang nicht. Überwiegend wird der digitale Nachlass erfasst als "die Gesamtheit des digitalen Vermögens, also Urheberrechte, Rechte an Websites, Domains sowie sämtliche Vertragsbeziehungen zwischen Providern und dem Erblasser hinsichtlich der Nutzung des Internets selbst, aber auch hinsichtlich diverser Internetangebote und damit auch die Gesamtheit aller Accounts und Daten des Erblassers im Internet.", vgl. nur Bräutigam, DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, Berlin, Juni 2013, S. 93 (nachfolgend: "DAV-Stellungnahme"); in diese Richtung auch Herzog, NJW 2013, 3745.
[7] Nach wohl überwiegender Auffassung wird dies verneint: vgl. KG BeckRS 2017, 111509; Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446, 450; Kuntz, jM 2016, 190, 192; Gola/Klug/Körffer, Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 3 Rn 12; Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473, 3475; a.A. LG Berlin, DNotZ 2016, 537; Martini, JZ 2012, 1145, 1153; hierzu noch unter II.3.b)(bb).

2. Regelungen der Provider erschweren den Erben die Konstituierung des digitalen Nachlasses

Doch selbst wenn die Erben sich erfolgreich einen Überblick über den Bestand des digitalen Nachlasses verschafft haben, stehen sie in der Praxis vor dem Problem, an die Daten des Erblassers zu gelangen. Hat dieser den Erben nämlich – wie es derzeit ebenfalls hä...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge