Der in der anwaltlichen Beratung herrschende Zeitgeist hat sich im "Digitalen Zeitalter" verändert. Anfangs waren es Diktiergeräte, die das gesprochene Wort mittels Spracherkennung in Schriftdokumente umwandeln, oder umfangreiche Softwarelösungen für die kanzleiinterne Kommunikation, neuerdings ist eine Automatisierung ganzer Arbeitszweige denkbar – die Digitalisierung prägt den Alltag in der Rechtsberatung wie auch die sonstigen Branchen der Wirtschaft im 21. Jahrhundert.

Das lässt sich nicht zuletzt an wirtschaftlichen Parametern feststellen: Die Legal Tech Branche insgesamt wächst seit einigen Jahren ungemein. Die Anzahl der Start-Ups wie Smartlaw, RightNow, Flightright, Advocado, YourExpert, die sich auf dem Markt der Rechtsdienstleistungen tummeln, ist mittlerweile unübersichtlich, da immer wieder neue Unternehmen auf den Markt drängen, ob erfolgreich oder nicht. Daneben streben kleinere wie größere Kanzleien nach der Entwicklung ihrer eigenen Legal-Tech-Produkte, um sich im Wettbewerb zu behaupten.[7]

Grund für das Wachstum ist wohl ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren. Einerseits tauchen regelmäßig neue rechtliche Fragen auf, beispielsweise durch Social Media oder Kryptowährungen, die in der anwaltlichen Praxis noch weitgehend unbekannt sind/waren.[8] Dadurch verändert und verjüngt sich die potenzielle Mandantschaft inklusive der Ansprüche und ihrer finanziellen Möglichkeiten. Auf diese Weise eröffnen sich Räume, die selbst das Portfolio größter, international agierender Wirtschaftskanzleien nicht abdeckt. Andererseits ist die technische Entwicklung rasant. Was mit der Automatisierung von standardisierten Arbeitsabläufen begann, entwickelt sich hin, zu auf Algorithmen basierenden, künstlichen Intelligenzen, welche in der Lage sind, immer komplexere Rechtsfragen ohne menschliches Zutun selbst zu lösen.[9] Der stellenweise aufkommende Frust über diese Entwicklungen ist in Teilen verständlich.[10] Man kann es dem, im Sinne des homo oeconomicus handelnden, potenziellen Mandanten, allerdings nicht zum Vorwurf machen, zu dem zugänglicheren Produkt auf dem Markt zu greifen.[11]

Dieses Phänomen bietet Platz für die meist junge, kreative und durchaus mutige Legal-Tech-Szene, ihre Ideen zu entwickeln. Die daraus resultierende Unverfrorenheit, mit der sich die Szene am Markt ausbreitet, fordert die in weiten Teilen konservative Anwaltschaft heraus. In der Folge fallen die Reaktionen unterschiedlich aus und schwanken zwischen resoluter Ablehnung, verhaltenem Interesse und ernstgemeinter Euphorie. Dieses Spannungsverhältnis ist wichtig – es darf nur nicht dazu führen, dass sich das Moderne und das Traditionelle (noch) weiter voneinander distanziert.

[7] Beispielhaft seien das sehr interessante Portal meinPflichtteil.de der Bonner Kanzlei Meyer-Köring unter Federführung von RA Dr. Gordian Oertel.
[8] Eindrücklich zu den daraus resultierenden zentralen Fragen Hähnchen/Schrader/Weiler/Wischmeyer, JuS 2020, 625 sowie für das Erbrecht Plottek/Reuter, Zerb 2021, 333 ff.
[9] Zu den verschiedenen Varianten des Legal Supports: Quarch/Engelhardt, LTZ’2022, 38 f.
[10] Siehe dazu etwa die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer, die insofern die "Kernwerte der Anwaltschaft" bedroht sieht, beck-aktuell 2017875, 27.10.2020; Brechmann, Legal Tech und das Anwaltsmonopol, S. 32; Hähnchen/Schrader/Weiler/Wischmeyer, JuS 2020, 625; Römermann/Günther, NJW 2019, 551; Darlegung des potenziell dramatischen Einflusses von Legal Tech auf die juristische Tätigkeit in dem Buch "The End of Lawyers" von Susskind.
[11] So bereits die Schlussfolgerung von Plottek/Reuter, Zerb 2021, 333 ff.

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