Mit seiner Entscheidung vom 20.7.2020 schließt der BGH konsequent an seine Rechtsprechung zur Verschwiegenheitspflicht des Notars in Nachlassangelegenheiten und auch an die weitere Rechtsprechung zur postmortalen Verschwiegenheitspflicht an.

Der Sohn des Erblassers hatte nach dem Tod seines Vaters von dem Notar, der das gemeinschaftliche Testament seines Vaters zusammen mit dessen zweiter, bereits vorverstorbenen, Ehefrau beurkundet hatte, die Einsicht in die bei dem Notar verbliebene Abschrift des Testamentes verlangt. Der Notar hatte dies mit Hinweis auf seine Verschwiegenheitspflicht abgelehnt. Das beim Nachlassgericht hinterlegte Original des Testamentes war vom Nachlassgericht eröffnet worden und dem Sohn, soweit es ihn betraf, bekannt gemacht worden. Der Sohn war enterbt worden.

Aufgrund der Weigerung des Notars beatragte der Sohn beim Präsidenten des Landgerichts, er möge den Notar von seiner Schweigepflicht entbinden und den Notar anweisen, ihm die bei diesem befindliche Abschrift des Testamentes vorzulegen. Der Sohn begründete den Antrag damit, dass das ihm vom Nachlassgericht bekannt gegebene Original vermuten lasse, dass dieses nachträglich verändert worden sei, was durch den Abgleich mit der beim Notar befindlichen Abschrift überprüft werden solle.

Der Landgerichtspräsident lehnte den Antrag ab. Die vor dem OLG erhobene Verpflichtungsklage war erfolglos.

Der BGH hat dagegen entschieden, dass der Landgerichtspräsident verpflichtet ist, den Notar von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, soweit der Inhalt der letztwilligen Verfügung den Antragsteller betrifft.

Dabei stellt der BGH nicht auf den mutmaßlichen Willen des Erblassers ab. Wie bereits mit der Entscheidung vom 10.3.2003, DNotZ 2003, 780 entschieden, liegt ein Grund für die Entbindung von der Schweigepflicht dann vor, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen und bei verständiger Würdigung der Sachlage der Verstorbene selbst die Befreiung erteilt hätte (mutmaßlicher Wille). Ob diese Voraussetzungen hier vorlagen, lässt der BGH offen. Allerdings dürfte dieser Anwendungsfall in der Praxis wohl ebenfalls sehr häufig sein, wie man der Entscheidung selbst später auch noch entnehmen kann.

So wird insbesondere bei der Entbindung von Ärzten von der Schweigepflicht von Rechtsprechung und Literatur angenommen, dass die Aufklärung von Zweifeln z.B. an der Testierfähigkeit, an der Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung oder auch an den Motiven der Errichtung im wohlverstandenen Interesse des Erblassers liegt, der ein Testament errichtet hat (BGHZ 91, 392 (399 f.) = NJW 1984, 2893 (2895);MüKo-BGB/Sticherling, § 2229 Rn 65).

Im hier vorliegenden Fall stellt der BGH allerdings auf die andere Variante ab, wonach die Entbindung von der Schweigepflicht auch dann zu erfolgen hat, wenn durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist. Hier stellt der BGH gegenüber der Entscheidung von 2003 ausdrücklich klar, dass beide Varianten alternativ und nicht kumulativ vorliegen können.

Den Wegfall des Geheimhaltungsinteresses begründet der BGH damit, dass dem Sohn des Erblassers der ihn betreffende Inhalt ja bereits durch das Nachlassgericht bekannt gemacht wurde. Denn um die Verwirklichung des letzten Willens sicher stellen zu können, müssen nicht nur die testamentarischen Erben über deren Erbeinsetzung informiert werden, sondern auch die gesetzlichen Erben über ihre damit verbundene Enterbung.

Dabei bezieht sich der Wegfall des Geheimhaltungsinteresses nicht nur auf das vom Nachlassgericht eröffnete Original des Testamentes. Laut BGH bezieht es sich auch auf die beim Notar verbliebene Abschrift. Denn aus Sicht des Erblassers müssen Original und Abschrift beim Notar zwingend identisch sein, so dass kein Grund ersichtlich ist, warum an der Abschrift ein Geheimhaltungsinteresse bestehen sollte. Im Ergebnis überzeugt diese Begründung.

Wäre die Vermutung des Sohnes zutreffend und läge eine Abweichung zwischen dem Original und der Abschrift beim Notar vor, dann gilt laut BGH nichts anderes, denn dann enthielte die Abschrift beim Notar den "wahren" Willen des Erblassers. Der Erblasser hätte dann gewollt, dass dieser wahre Wille vollzogen wird. Insofern stellt der BGH hier dann doch auf den mutmaßlichen Willen des Erblassers ab. Im Übrigen kommt es aber nicht darauf an, ob der Verdacht des Sohnes, es läge eine Manipulation vor, hinreichend dargelegt wurde.

Ob die Entscheidung dem Sohn in der Praxis hilft, erscheint fraglich. Zum einen stellt der BGH klar, dass der Landgerichtspräsident nur verpflichtet ist, den Notar von der Schweigepflicht zu entbinden. Wie der Notar dann die vom Kläger gewünschten Informationen weitergibt, entscheidet dieser selbst. Litzenburger (FD-ErbR 2020, 432455) weist in diesem Zusammenhang zurecht darauf hin, dass bei einer tatsächlichen Abweichung zwischen Original und Abschrift eine nicht unerhebliche Amtspflichtverletzung des Notars im Raum stünde. Der Notar wäre aber vor dem Hintergrund der dann drohenden berufsrechtlichen o...

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